Die Diskussion auf dem Wortwiege-Festival 2025 dreht sich um die Frage, ob die österreichische "Untertanen-Mentalität" nach 1945 tatsächlich verschwunden oder nur neue Kostüme angenommen hat. Theatermacherin Anna Luca Krassnigg, Journalistin Solmaz Khorsand und Autor Heinz Sichrovsky sprechen über Helmut Qualtingers scharfe Gesellschaftskritik, die heute wieder hochaktuell wirkt. Sie analysieren, warum viele österreichische Intellektuelle wie Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek erst bekämpft und später assimiliert wurden. Ein zentraler Vorwurf: Österreich habe nie gelernt, politischen Widerstand zu üben – im Gegensatz etwa zu Nachbarländern mit Revolutionserfahrung. Die Gäste beklagen zudem eine Kultur der Angst und Denunziation, die durch soziale Medien verstärkt werde. Die Debatte mündet in die Frage, wie Menschen heute wieder Mut zum Nein finden können – angefangen bei kleinen Alltagsakten des Widerstands. ### Österreichs Revolution fehlt – und das spiegelt sich bis heute wider Khorsand konstatiert, dass Österreich "diese Dissidenten-Mentalität nicht" habe. Sie vergleicht die österreichischen Proteste während der Ibiza-Affäre mit den choreografierten Massendemonstrationen in der Slowakei und stellt fest: "Eure Demos sind schon ein bisschen dilettantisch." ### Die Kunst als Ersatz für politischen Widerstand Sichrovsky betont, dass die wirkliche Aufarbeitung des NS-Erbes in Österreich "von der Kunst gekommen" sei – von der Wiener Gruppe über die Aktionisten bis zu Qualtinger. Diese Künstler hätten die Sprache "in die Luft gesprengt", weil die Politik versagt habe. ### Vom Hassobjekt zum Nationalhelden: Qualtingers Vereinnahmung Ein wiederkehrendes Thema ist die Ironie, dass Qualtinger heute als "Inbegriff des österreichischen Amtlitze" gefeiert werde – obwohl er dieses "durch seine feiste Bösartigkeit zur Kenntlichkeit entstellt" habe. Peter Turrini habe dieses Phänomen als "klassische Kollektivverdrängung" bezeichnet. ### Die neue Form der Bösartigkeit: Von Trump bis Kickl Die Diskussion weitet sich auf die globale politische Entwicklung aus. Die Gäste analysieren, warum gerade privilegierte Gruppen heute "eine Lust an der Zerstörung" entwickeln und rechte Populisten wie Trump oder Kickl verherrlichen – ein Phänomen, das Qualtingers Analysen der "versülsten bösartigen Typus" neue Aktualität verleiht. ### Widerstand beginnt im Alltag Als praktische Antwort auf die Frage "Was kann man tun?" entwickeln die Gäste ein Konzept des "trainierten Widerstands": vom Krankenstand als politischem Werkzeug bis zum bewussten Verweigern von Effizienz an der Supermarktkasse. Khorsand zitiert den Protestforscher Gene Sharp, dessen 200 Thesen zum zivilen Ungehorsam weltweit in Bewegungen vom Arabischen Frühling bis zu Iran studiert würden – nur in Österreich nicht. ## Einordnung Die Sendung zeigt das FALTER-Format in Bestform: drei kluge Köpfe, die komplexe gesellschaftliche Phänomene nicht vereinfachen, sondern in ihrer Widersprüchlichkeit ausloten. Besonders bemerkenswert ist die Selbstreflexion: Statt belehrend zu wirken, gestehen die Gäste ihre eigene Unsicherheit und Anpassung. Die Diskussion vermeidet bequeme Schuldzuweisungen und zeigt stattdessen, wie tief die österreichische Unfähigkeit zu kollektivem Widerstand in historischen Strukturen verwurzelt ist. Die Analyse bleibt dabei frei von Verschwörungsideologien oder Esoterik – stattdessen wird klar benannt, welche Machtverhältnisse durch fehlende Aufarbeitung der NS-Vergangenheit bis heute fortwirken. Die Sendung besticht durch ihre Fähigkeit, hochkomplexe Themen wie autoritäre Dynamiken in Demokratien zugänglich zu machen, ohne dabei oberflächlich zu werden. Einziger Wermutstropfen: Die Perspektive bleibt auf die weiße, gebildete Mittelschicht beschränkt – die Stimmen jener, die heute von rechts bedroht sind, fehlen.