Wissenschaft im Brennpunkt: Tropenkrankheit - Wie eine Pharmazeutin den Peitschenwurm besiegen will
Deutschlandfunk berichtet, warum ein Tierarzneistoff gegen menschliche Wurminfektionen kämpft und was Armut mit Zulassungshürden zu tun hat.
Wissenschaft im Brennpunkt
1371 min audioKontext und Sprecher
Der Deutschlandfunk-Podcast „Wissenschaft im Brennpunkt“ begleitet die Zulassungsstudie für Emodepsid auf Pemba (Tansania), einen Wirkstoff aus der Tiermedizin, der gegen den menschlichen Peitschenwurm helfen soll. Gesprochen wird mit der Pharmaforscherin Jennifer Kaiser (Swiss TPH), dem Tropenmediziner Michael Ramharter (Bernhard-Nocht-Institut), dem Bayer-Chemiker Achim Harder sowie lokalen Studienteilnehmer:innen und Dorfbewohner:innen.
Hauptthema
Die Episode erklärt, warum seit 40 Jahren kein neues Entwurmungsmittel zugelassen wurde, wie der Wirkstoff Emodepsid – jahrelang nur bei Hunden und Katzen eingesetzt – nun Menschen helfen könnte und welche Hindernisse Pharmaindustrie, Armut und Infrastruktur bereiten.
### 1. Peitschenwürmer als vernachlässigte Tropenkrankheit
Etwa 1,5 Mrd. Menschen seien weltweit mit Würmern infiziert; der Peitschenwurm verankere sich in der Darmwand, werde von aktuellen Mitteln kaum erfasst und führe bei Kindern zu Wachstumsstörungen. „Die meisten Kinder [seien] nach der Behandlung weiterhin infiziert“, konstatierte Kaiser.
### 2. Brisantes Vorgehen gegenüber Bayer
Nachdem Bayer mehrfach eine Kooperation ablehnte, kaufte Kaiser-Katzenmedikamente, extrahierte den Wirkstoff selbst und veröffentlichte Laborergebnisse, die „Resistenz brechend" seien, wie Harder betonte – ein ungewöhnlicher akademischer Work-around.
### 3. Phase-2-Daten versprechen nahezu 100 % Heilung
In Studien mit 700 Proband:innen auf Pemba erzielte Emodepsid laut Ramharter „revolutionär" gute Heilungsraten („100 %"), zeigte aber auch leichte zentralnervöse Nebenwirkungen wie Schwindel oder Gesichtsfeldveränderungen.
### 4. Armut als zentrale Ursache
Infektionen entstehen durch Barfußlaufen, fehlende Latrinen und kontaminiertes Wasser. Der CEO des örtlichen Labors, Saidi Mohamed Ali, betonte: „But this is poverty related disease", während gleichzeitig ein Dorfvater erklärt, er könne sich eine neue Latrine nicht leisten.
### 5. Marktversagen und Spendensystem
Da Albendazol und Mebendazol von Firmen gespendet würden, gebe es „keinen Markt, 1,5 Mrd. Menschen Emodepsid zu verkaufen", sagt Kaiser. Die 5 Mio. US-Dollar für die Phase-3-Studie stammen deshalb von der Stiftung Open Philanthropy, nicht von Bayer.
## Einordnung
Der Beitrag überzeugt durch klare wissenschaftliche Recherche, emotionale Nahaufnahmen und transparente Machtverhältnisse: Er zeigt, warum Großkonzerne sich trotz offensichtlichem Potenzial jahrelang nicht für ein neues Mittel einsetzten, und lässt lokale Betroffene gleichwertig zu Wort kommen. Besonders hervorzuheben ist die offene Darstellung von Nebenwirkungen und die Einbettung in sozio-ökonomische Zusammenhänge – statt bloß medizinische Lösungen zu feiern, wird Armut als strukturelle Ursache benannt. Kritisch bleibt, dass letztlich wieder eine westliche Akademikerin als Retterin fungiert; die Stimmen afrikanischer Wissenschaftler:innen kommen nur randständig vor. Dennoch gelingt dem Format eine selbstreflektierte, sachliche Berichterstattung, die komplexe Zusammenhänge ohne Sensationsgehabt verständlich macht.