Chris O’Falt von IndieWire begrüßt Regisseur Paul Greengrass („The Bourne Identity“, „United 93“) zu dessen erstem Gespräch im „Filmmaker Toolkit“. Sie sprechen über Greengrass’ neuen Film „The Lost Bus“, der die Waldbrände von Paradise 2018 nacherzählt. Der Regisseur schildert, wie er zunächst als investigativer Dokumentarfilmer bei Granada Television („World in Action“) 40 Filme in zehn Jahren drehte und dabei lernte, „wie Realität riecht und wie man sie filmt“. Diese Erfahrung prägte seinen hektischen Handkamerastil und das sozial-realistische Ästhetikverständnis. Erst mit 30 wagte er den Sprung ins fiktionale Kino, fühlte sich in klassischen Hollywood-Settings jedoch „wie im Anzug“. Nach zehn Jahren Experimentieren fand er „seine Stimme“, indem er dokumentarische Unmittelbarkeit in inszenierte Szenen übertrug – etwa eine Achter-Dialogszene im irakischen Wüstenmondlicht nur mit vorhandenem Licht, statt mit Kran und Dolly. Diese journalistische Herangehensweise fließt nun in „The Lost Bus“ ein, bei dessen Feuer-Szenen er kurz vor Drehbeginn komplett umdachte. Die Episode bietet tiefere Einblicke in Greengrass’ Arbeitsweise und die Balance zwischen faktenbasierter Authentizität und filmischem Drama. ### Greengrass’ dokumentarische Wurzeln prägen sein filmisches Erzählen Greengrass betont, dass seine Ausbildung beim investigativen Format „World in Action“ ihm beibrachte, „was Realität aussieht, riecht und anfühlt“. Er habe gelernt, „sehr schnell unter Druck“ zu drehen, wobei Teamarbeit oberste Priorität habe: „Es gibt kein Ich im Team.“ Diese Erfahrung habe seinen heutigen Handkamera-Stil und die Vorliebe für echte Locations begründet. ### Der Übergang vom Dokumentar- zum Spielfilm war zehn Jahre der Selbstfindung Obwohl er mit 30 sein erstes fiktionales Drehbuch verfilmte, habe er sich in klassischen Settings „wie im Anzug“ gefühlt. Greengrass: „Ich musste einen Weg finden, treu zu bleiben, woher ich komme.“ Erst nach zehn Jahren habe er die Courage gefunden, seine dokumentarische Ästhetik auf inszenierte Szenen zu übertragen. ### Eine Wüstenszene markierte den Wendepunkt seiner künstlerischen Identität Bei einem Nachtdreh für einen Film über einen gescheiterten Spezialeinsatz im Irak habe er gemerkt: „Das ist nicht ich.“ Die klassische Inszenierung mit Dolly und Umkehrungen funktionierte technisch, doch fehlte die emotionale Authentizität. Ein produzierender Kollege habe ihn ermutigt, „loszulassen“, woraufhin er seine Handschrift fand: „Jetzt weiß ich, wie ich es für mich machen muss.“ ### Für „The Lost Bus“ änderte Greengrass die Darstellung der Waldbrände kurzfristig Ohne Details zu nennen, verrät er, dass er nach den verheerenden Bränden Anfang 2025 seine komplette Konzeption umdrehte: „Ich habe meine Herangehensweise komplett geändert.“ Hintergrund sei der Wunsch, Respekt vor den Opfern und der physischen Realität der Katastrophe zu wahren. ## Einordnung Die 45-minütige Episode wirkt wie ein Meisterkurs darin, wie journalistische Prägung filmische Form beeinflusst. O’Falt gibt Greengrass Raum, seine Biografie chronologisch zu entfalten, ohne ihn zu unterbrechen oder auf aktuelle PR-Phrasen zu drängen. Dabei entsteht eine fast therapeutische Tiefe: Greengrass gesteht Selbstzweifel und lange Irrwege, was in einem Vanity-Interview selten wird. Der Interviewer bleibt im Hintergrund, stellt aber gezielt Nachfragen, wenn es um praktische Details (z. B. die Wüstenszene) geht. Kritisch bleibt, dass die politische Dimension der Waldbrand-Katastrophe – Klimawandel, Waldmanagement, soziale Verwundbarheit – kaum berührt wird; der Fokus liegt fast ausschließlich auf formaler Machart. Gleichwohl liefert der Podcast wertvolle Einblicke für Filmemacher:innen, die zwischen Authentizität und Drama balancieren wollen. Wer also wissen will, wie man Realität auf die Leinwand bringt, ohne sie zu verklären, findet hier einen lehrreichen Dialog. Hörwarnung gibt es keine – es sei denn, man erwartet brisante Enthüllungen zu den Bränden oder ein Entertainment-Format; beides bietet die Folge bewusst nicht.