Der Deutschlandfunk-Feature von Maike Hildebrand und Karl Amannsberger beleuchtet die geplante Kooperation zwischen der deutschen Brennelementefabrik ANF in Lingen und dem russischen Staatskonzern Rosatom. Trotz des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine will ANF unter Lizenz von Rosatoms Tochter TVEL Brennelemente für osteuropäische Atomkraftwerke russischer Bauart produzieren. Die Autor:innen sprechen mit Betroffenen, Expert:innen und politischen Entscheidungsträger:innen und zeigen die brisante Mischung aus Energiepolitik, Geopolitik und Sicherheitsinteressen. ### 1. ANF will trotz Krieg mit Rosatom kooperieren Die ANF-Gruppe hofft, mit Hilfe von Maschinen und Lizenzwissen der Rosatom-Tochter TVEL ab 2026/27 Brennelemente für 19 Reaktoren russischer Bauart in der EU zu fertigen. Die Genehmigung dafür steht seit März 2022 aus. Die Maschinen standen bereits 2024 in einer separaten Lingener Halle, russische Ingenieure schulten ANF-Mitarbeiter. TVEl-Mitarbeiter "haben das Werk nie betreten", sagt Framatoms Mario Leberich. ### 2. Uranlieferungen aus Russland laufen weiter Seit Kriegsbeginn steigerte Rosatom die Uranlieferungen nach Lingen; 2024 kamen 69 t, zwei Drittel mehr als 2023. Die Lieferungen seien "offiziell nicht bekanntgegeben", sie würden von Aktivist:innen per Schiffsradar verfolgt. Uran sei "Einheitsprodukt", der Herkunftsort spiele technisch keine Rolle, so Leberich. Rosatom kontrolliert rund 40 % der weltweiten Urananreicherung. ### 3. Sicherheitsbehörden und Aktivist:innen warnen vor Sabotage und Spionage Der russische Umweltaktivist Wladimir Slivyak erklärt, Rosatom sei "eine hochentwickelte Waffe Putins"; bei Kooperationen "sind immer FSB-Leute dabei". Der niedersächsische Minister Christian Meyer (Grüne) betont, Sicherheitsdienste würden "verstärkte Sabotage- und Spionageaktivitäten" warnen. Das BMI bestätigt, dass "Spuren mehrerer Cyberattacken nach Russland führen". ### 4. EU-weite Atom- und Sanktionspolitik verhindert einheitliches Vorgehen Frankreich, stark auf Atomstrom und auf den Export französischer Reaktortechnik angewiesen, blockiert laut Slivyak und Meyer EU-Sanktionen gegen Rosatom. Brüssel braucht Einstimmigkeit; Ungarn und die Slowakei lehnen Sanktionen ebenfalls ab. Die Bundesregierung fordert EU-weite Importverbote für russisches Uran, konnte sie aber noch nicht durchsetzen. ### 5. Bundeskanzleramt und Wirtschaftsinteressen treiben Verfahren voran Trotz offener Sicherheitsfragen dränge das Kanzleramt auf rasche Genehmigung, heißt es in zensierten E-Mails. Arbeitsplätze in der Region, französischer Exportwille und die osteuropäische Versorgungssicherheit stehen im Raum. Der Experte Michael Schneider konstatiert: "Die Vorstellung, man kaufe die Blaupausen und schicke dann die Russen heim, ist absurd." ## Einordnung Das Feature arbeitet sich präzise und investigativ durch ein hochkomplexes Thema und zeigt, wie leicht geopolitische, energiewirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen miteinander kollidieren. Die Autor:innen lassen alle relevanten Akteur:innen zu Wort kommen – von der lokalen Bürgerinitiative bis zum Bundesumweltministerium – und entlarven dabei eine erstaunliche Offenheit gegenüber einem Staatskonzern, der vom eigenen Wirtschaftsministerium als potenzieller Gegner beschrieben wird. Besonders bemerkenswert ist, dass trotz Krieg, Sanktionsdebatten und Warnungen des deutschen Geheimdiensts die Maschinen bereits stehen, russische Spezialist:innen geschult haben und das Verfahren auf Druck aus Berlin und Paris beschleunigt werden soll. Die Geschichte offenbart eine schwerwiegende Diskrepanz zwischen öffentlicher Anti-Atom-Rhetorik und der stillen Fortsetzung atomarer Lieferketten, solange sie der Wirtschaft dienen. Gleichzeitig macht der Beitrag deutlich, wie sehr europäische Solidarität mit osteuropäischen Staaten auf dem Papel steht, während reale Energieabhängigkeiten weiter genutzt werden, um Geschäfte zu machen. Die journalistische Leistung besteht darin, diese Widersprüche nicht einfach zu skandalisieren, sondern sie durch akribische Recherche und viele Stimmen glaubwürdig aufzudecken.