Table Today: Wie viel Staat muss sein, Herr Steinbrück?

Table Today analysiert die Ukraine-Friedensgespräche, Trumps Schweizer Strafzölle und Peer Steinbrücks Reformpläne für einen handlungsfähigen Staat.

Table Today
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Helene Bubrowski und Michael Bröcker besprechen mit Okan Bellikli die bevorstehenden Ukraine-Friedensgespräche in Alaska, Trumps Strafzölle gegen die Schweiz und Peer Steinbrücks Reformpläne für einen "handlungsfähigen Staat". Als Gesprächspartner:innen fungieren Janosch Allenbach-Ammann (Europe.Table) zu den Schweizer Handelszöllen sowie Peer Steinbrück (ehemaliger Bundesfinanzminister) zur Staatsreform. ### 1. Frieden für die Ukraine wohl nur mit Gebietsabtretungen möglich Es gebe "eine bittere Wahrheit", die bislang kaum jemand ausspreche: Der Krieg werde wohl nur enden können, wenn die Ukraine Territorien an Russland abtrete. Trump habe bereits signalisiert, dass es bei dem Treffen mit Putin auch um "Gebietstausch" gehen solle – wobei offen bleibe, welche Gebiete genau gemeint seien. ### 2. Schweiz als neutrales Land besonders verwundbar für US-Strafzölle Die Schweiz gelte Trump als "einfaches Opfer", da sie politisch neutral sei und "nichts ausrichten" könne. Die neuen 39-Prozent-Zölle träfen die Schweiz besonders hart, da sie mit sieben Prozent des BIP doppelt so abhängig vom US-Markt sei wie Deutschland. Erste Unternehmen prüften bereits Produktionsverlagerungen. ### 3. Reformdruck als letzte Chance gegen AfD-Wähler:innen Steinbrück sehe die aktuelle Legislaturperiode als "letzte Chance", um mit zentralen Reformen das Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. Andernfalls würden "andere Kräfte" – im Wesentlichen die AfD – davon profitieren. Die nächsten Bundestagswahlen könnten "noch sehr viel erschreckendere Ergebnisse" bringen. ### 4. Föderalismus als zentrales Reformhindernis identifiziert Die Initiative habe erkannt, dass eine Föderalismusreform nötig sei, wobei Steinbrück eine neue Föderalismuskommission ablehnt. Stattdessen plädiere er für ein effektives Format der Ministerpräsident:innen zur Klärung von Bund-Länder-Finanzbeziehungen und Verantwortlichkeiten. ### 5. Sozialstaat als "Überkomplexität" mit über 170 Leistungen Ein zentraler Hebel sei die Zusammenlegung der über 170 steuerfinanzierten Sozialleistungen. Steinbrück nennt das Beispiel einer alleinerziehenden Frau mit pflegebedürftigem Vater, die für über zehn Leistungen acht verschiedene Bewilligungen brauche und dabei vier verschiedene Einkommensdefinitionen zugrunde liegen müsse. ### 6. Soziale Medien als "höchst problematisch" für Demokratie Steinbrück bezeichnet soziale Plattformen als "höchst problematisch", da sie "eigenen Interessen folgen" und "starke Manipulationsmöglichkeiten" hätten. Hass, Fake News und Desinformation würden den demokratischen Meinungsbildungsprozess unterminieren und die demokratischen Werte des Gemeinwesens infrage stellen. ## Einordnung Der Podcast präsentiert sich als professionelles Nachrichtenformat mit klarem journalistischen Anspruch. Die Moderator:innen geben sich redaktionell neutral, lassen ihre Gesprächspartner:innen aber weitgehend unhinterfragt zu Wort kommen. Besonders auffällig ist die problematische Normalisierung von Gebietsabtretungen als vermeintlich unvermeidbares Friedenskriterium für die Ukraine – eine Position, die zwar als "bittere Wahrheit" eingeführt wird, aber ohne kritische Gegenposition bleibt. Die Schweiz-Darstellung bleibt auf ökonomische Aspekte reduziert, während die Frage nach geopolitischen Alternativen zur Neutralität ausgeblendet wird. Bei der Staatsreform dominiert eine technokratische Perspektive: Die Komplexität des Sozialstaats wird zwar benannt, aber die zugrunde liegenden Machtverhältnisse und Verteilungsfragen bleiben unerwähnt. Die Kritik an sozialen Medien als Gefahr für die Demokratie steht unreflektiert neben der Tatsache, dass die Sendung selbst auf klassischen Medienplattformen verbreitet wird. Die Perspektive von Betroffenen sozialer Leistungen oder ukrainischen Stimmen fehlt vollständig. Hörwarnung: Wer eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Ukraine-Friedensverhandlungen oder kritische Perspektiven auf Staatsreform jenseits von Effizienzdiskursen sucht, wird hier nicht fündig.