Kontext: Der isländische Kulturpodcast „Við sjáum“ (etwa: „Wir schauen“) von Halla Harðardóttir und Melkorka Ólafsdóttir widmet sich in der Folge vom 23. Oktober 2025 drei Themen: der elektronischen Musikfestival „Erkitíð“ mit einem Gespräch über Klangheilung, einer Retrospektive der Medienkünstlerin Steina Vasulka und der Ausstellung über Ásta Árnadóttir, die 1907 als erste Isländerin das Meisterexamen im Malerhandwerk ablegte. Hauptthema: Die Sendung spannt einen Bogen von zeitgenössischer Klangkunst über experimentelle Medienkunst bis zur historischen Frauenbiografie, wobei der Fokus auf dem Aufbrechen traditioneller Rollenbilder liegt. ### 1. Klangheilung als performative Praxis Vala Gestsdóttir erzählt, wie sie nach Hörverlust und Hirntumor die „vollkommen neue“ Welt der Klangheilung entdeckte. Sie nutzt Planetentöne von Gong und Klangschalen, um „den Körper in einen Reparatur- und Heilungszustand“ zu versetzen. Als Zitat: „Die Schallwellen sind so dicht und kraftvoll, dass sie in vielen Hirnarealen übermächtig werden … und der Körper entspannt sich.“ ### 2. Kunst als Selbstfindung Valas Stück „Ljósið í mér sér ljósið í þér“ (etwa: „Das Licht in mir erkennt das Licht in dir“) basiert auf dem Sanskrit-Gruß Namasté. Sie beschreibt das Stück als Spiegel für den inneren Kern: „Ich hatte tatsächlich mich selbst verloren … durch diese Arbeit wagte ich, mir in die Augen zu schauen, wer ich wirklich bin.“ ### 3. Steina Vasulkas Zeit-Technik-Medien Die Kuratorin Ragna Sigurðardóttir stellt die Retrospektive „Tímaflakk“ (Zeitreise) vor. Steina experimentiert seit den 1970er-Jahren mit Video-Feedback, Rotation und Ton-Bild-Synchronisation. Ihr Werk „Vélsýn“ (etwa: „Maschinensicht“) zeigt sechs Kameras, die Besucher:innen live auf Monitore übertragen – eine frühe Reflexion über Überwachung und Selbstbeobachtung. ### 4. Historische feministische Pionierin Ásta Árnadóttir (1883–1960) wollte „keine Dienstmagd, sondern selbstständig“ sein. 1907 legte sie als erste Isländerin das Gesellenexamen im Malerhandwerk ab, 1910 als erste Frau überhaupt das Meisterexamen in Deutschland. Sie gründete ein eigenes Unternehmen, bildete weitere Frauen aus und wurde von feministischen Netzwerken gefeiert – „keine Männer wurden eingeladen“, berichtet die Kuratorin über eine Festveranstaltung. ### 5. Widerstand gegen Geschlechterrollen Ásta erlebte massive Gegenwehr: Als sie Anfang des 20. Jh. auf einem Schiff um Arbeit bat, wurde ihr gesagt, es sei „so eine Unsinn, dass ein junges Mädchen zur See fährt“. Später protestierten Malermeister-Ehefrauen vor ihrem Betrieb, weil sie ihren Männern „die Arbeit wegnahm“. Die Ausstellung zeigt, wie sie trotzdem durchhielt und andere Frauen inspirierte. ## Einordnung Die Sendung mischt Unterhaltung mit kultureller Bildung und gelingt dabei ein respektvoller Blick auf drei sehr unterschiedliche Künstlerinnen-Biografien. Besonders gelungen: Die Interviews überlassen den Protagonistinnen viel Raum für eigene Worte; wissenschaftliche oder journalistische Kommentare treten zurück. Kritisch anzumerken ist, dass alternative Heilmethoden wie Klangschalen-Therapie unkritisch als universelles Heilmittel präsentiert werden – evidenzbasierte Medizin kommt nicht zu Wort. Auch die Sozialgeschichte bleibt oberflächlich: Es fehlen Expert:innen, die Ástas Kampf in größere Arbeiter:innen-, Frauen- oder Migrationsbewegungen einbetten. Stattdessen dominiert eine heroische Einzelschicksen-Erzählung, die bestehende Machtstrukturen eher bestätigt als sie zu hinterfragen. Dennoch bietet der Podcast eine wertvolle Plattform, um vergessene feministische Geschichte sichtbar zu machen. Hörempfehlung: Wer isländische Kulturgeschichte jenseits des Mainstreams sucht und dabei auch experimentelle Töne erträgt, bekommt hier drei anregende Porträts serviert – mit kleinen Einschränkungen bei der medizinischen Bewertung.