Paul Ronzheimer spricht mit Ferdinand Gehringer (Referent für Innere- und Cybersicherheit, Konrad-Adenauer-Stiftung) über das Buch „Deutschland im Ernstfall“. Sie diskutieren ein Kriegsszenario, das mit einem Angriff auf ein NATO-Land an der Ostflanke beginnt und die Folgen für Deutschland: Notstandsgesetze würden greifen, die Regierung zentralisiere Macht, Bürger:innen könnten zur Arbeit verpflichtet oder umgesiedelt werden, Versorgungsengpässe bei Medikamenten, Lebensmitteln und Energie seien wahrscheinlich. Gehringer bemängelt, dass die zivile Vorbereitung trotz Warnungen aus Politik und Geheimdiensten noch am Anfang stehe; Militärplanung funktioniere besser. Als Lösung schlägt er Szenarien offenzulegen, übergreifende Aktionsgruppen aus Behörden und Privatwirtschaft zu bilden sowie Vorbilder wie Litauen oder Finnland zu kopieren, die Bevölkerung über Apps und Kurse aufklären und zur Eigenverantwortung motivieren. ### 1. Deutschland würde zur Logistik-Drehscheibe, der Alltag bricht weitgehend zusammen Gehringer erwartet, dass bei einem Konflikt an der Ostflanke „Deutschland zu einer logistischen Drehscheibe“ werde; ICE-Strecken fielen aus, weil „Vorrangverkehr“ für Truppen und Material gelte. Die Regierung könnte „Arbeitsleistung, also Ärzte anfordern“, Unternehmen zur Produktion von Schutzwesten verpflichten und „den Flugverkehr anders lenken“. Diese Eingriffe würden durch die Notstands‐ und Sicherstellungsgesetze gedeckt, die seit den 1960er-Jahren existieren, aber nie für einen solchen Fall aktualisiert wurden. ### 2. Versorgungslücken: kaum Vorräte für Medikamente und Lebensmittel Die Bundesrepublik besitze zwar Getreidereserven, doch seien diese an Einzelstandorte gebunden und öffentlich ausgeschrieben – „ein unmittelbares und ganz interessantes Ziel für russische Akteure“. Für Medikamente und medizinische Geräte gebe es „kaum Vorbereitungsmaßnahmen“; bei 1 000 Kriegsverwundeten täglich würden Krankenhäuser und Bundeswehrsanitätsverbände rasch überlastet. Die Lieferketten seien „fragil“, da viele Wirkstoffe und Vorprodukte aus Asien kommen; ein Hafenstillstand im Roten Meer wirke sich direkt auf deutsche Just-in-Time-Verträge aus. ### 3. Wehrpflicht und Personalknappheit: Politik braucht Zwei-Drittel-Mehrheit Sollte der Bundestag Verteidigungs- oder Bündnisfall ausrufen wollen, benötige er eine Zwei-Drittel-Mehrheit – „das wäre kein einfacher Schritt politisch, entweder die Linke oder die AfD mitzubewegen“. Im Ernstfall könnten „Personen eingezogen werden“, Ärzt:innen per Verpflichtungsbescheid in andere Kliniken versetzt und Betriebe zur Rüstungsproduktion umgestellt werden. Die Entscheidung liege bei Bundesregierung oder Parlament, wobei die Ampelkoalition laut Gehringer „nicht gesichert“ sei, die nötigen Stimmen zu bekommen. ### 4. Cyber- und Hybridangriffe: Stromnetz ist „interessantes Ziel“ Deutschland gelte als „entscheidende Drehkreuzfunktion“ innerhalb der NATO; deshalb rechnet Gehringer damit, dass Gegner „Hybriden Angriffe“ auf Energie, Wasser, Schiene und Kommunikation verstärken würden. Das Stromnetz sei „relativ stabil“, aber nur „wenn sie nicht von Einwirkungen betroffen ist“. Offensichtliche Schwachstellen seien öffentlich einsehbare Lagerorte, fehlende Notstromkapazitäten in Krankenhäusern und unzureichender Schutz kritisener Infrastruktur. ### 5. Zivile Planung steckt in Ressortfetten – Militär um Längen weiter Während die Bundeswehr mit dem geheimen „Operationsplan Deutschland“ seit Jahren Übungen mit Kommunen fahre, stecke die zivile Seile „noch in den Kinderschuhen“. Die Ressortfetten blockierten: „Das Verkehrsministerium müsste dann mit dem Gesundheitsministerium entscheiden, wie kriegen wir schnell Medikamente?“ – doch es gebe keine Pflicht zur Zusammenarbeit. Folge: „Wir haben noch nicht über Bildung gesprochen, wir haben in Corona gelernt, wie wichtig das Bildungssystem ist.“ Für die Bevölkerung bleibe nur die Aufforderung zur „Eigenverantwortlichkeit“, zwei Wochen Vorräte anzulegen. ### 6. Lösungsideen: Transparente Szenarien, Vorbild Skandinavien Gehringer fordert, die Regierung solle „analytischen Szenario aufbauen und das mit der Bevölkerung kommunizieren“, außerdem übergreifende Aktionsgruppen aus Behörden, Privatwirtschaft und Akademie bilden. Als Vorbilder nennt er Litauens Zivilschutz-App, Schwedens Flugblätter gegen Desinformation und Finnlands dreieinhalbwöchige Verteidigungskurse für Multiplikator:innen. Deutschland solle „nicht nur anfangen von unseren alten Überlegungen aus dem Kalten Krieg“, sondern moderne, dezentrale Reserven und Apps entwickeln, um „Angst zu reduzieren“ und Solidarität zu stärken. ## Einordnung Der Podcast wirkt wie ein Krisen-Planspiel: Statt die politische Diskussion um Aufrüstung oder Diplomatie zu beleuchten, verengt sich der Blick auf den worst-case und schürt damit subtil Angst. Gehringer liefert detailreiche Schreckensszenarien, ohne belastbare Fakten über konkrete Angriffspläne oder erfolgte Sabotageakten zu nennen; seine Behauptungen über russische Gefahren bleiben im Konjunktiv. Die Komplexität von Verwaltung und Lieferketten wird zwar sichtbar, aber die einzige Lösung erscheint: mehr staatliche Steuerung, mehr Vorratswirtschaft und mehr militärische Logistik. Dass Gesellschaft und Parlament auf breiter Ebene beteiligt werden sollten, fordert Ronzheimer nur am Rande; die Expert:innen-Position dominiert. Die Episode verbreitet das Gefühl, Deutschland sei praktisch schon im Krieg – nur eben noch nicht angegriffen. Sie füllt damit eine rechte Agenda, die sich durch Angst vor äußeren Feinden und Forderung nach starkem Staat auszeichnet, ohne alternative Sicherheitskonzepte wie Entspannungspolitik oder zivile Konfliktlösung einzuladen. Wer fundierte Informationen zu Kriegsgefahren sucht, erhält hier vor allem emotionale Aufladung und ein Plädoyer für mehr autoritäre Vorbereitung. Hörwarnung: Wer keine zusätzliche Angst vor einem Krieg in Europa braucht oder lieber faktenbasierte politische Debatten statt düsterer Szenarios hören will, kann diese Folge getrost überspringen.