Hintergrund: Gegen Lohndumping - Was bringt das geplante Tariftreuegesetz?
Deutschlandfunk-Hintergrund beleuchtet das geplante Tariftreuegesellschaft: Wie kann der Staat mit öffentlichen Aufträgen faire Löhne durchsetzen, ohne den Mittelstand zu überfordern?
Hintergrund
19 min read1138 min audioDer Deutschlandfunk-Hintergrundbeitrag „Gegen Lohndumping. Was bringt das geplante Tariftreuegesetz?“ beleuchtet die geplante Bundesregelung, nach der künftig nur noch Firmen öffentliche Aufträge erhalten, die tarifliche Löhne und Arbeitsbedingungen bieten – unabhängig davon, ob sie selbst tarifgebunden sind. Reporterin Ronja Morgentaler spricht mit Bauunternehmer:innen, Politikwissenschaftler:innen, Lobbyist:innen und Betroffenen.
### 1. Preis statt Qualität: Der niedrigste Preis dominiert
Bei öffentlichen Ausschreibungen entscheide fast immer der Preis, nicht Qualität oder soziale Standards, heißt es. Bauunternehmer Kevin Vogel erzählt: „Ich kann … den größten Blödsinn machen. Wenn ich beim nächsten Mal wieder das günstigste Angebot machen muss, muss er mich wieder nehmen.“
### 2. Subunternehmer: Schwarzarbeit habe System
Rund ein Drittel der Beschäftigten auf Baustellen stamme aus Osteuropa; viele würden schwarz oder mit Scheinverträgen arbeiten. Ein rumänischer Arbeiter berichtet: „Es ist unmöglich, in Deutschland im 21. Jh. auf einer Baustelle zu arbeiten, wo jemand verhaftet wird und am nächsten Tag dieselbe Baustelle mit einer neuen Firma weiterläuft.“
### 3. Befürchtung: Bürokratie treibe Mittelstand weg
Der Mittelstandsverband BVMW warnt, die geplante Nachunternehmerhaftung und umfangreiche Nachweispflichten würden kleine und mittlere Unternehmen von öffentlichen Aufträgen abhalten. Hans-Jürgen Felz bemängelt: „Ein ganzes Gesetzessystem … mit gigantischen bürostratischen Aufwendungen … rechtfertigt … nicht den Sachverhalt.“
### 4. Erfahrungen aus den Ländern: Beteiligungsrückgang nicht nachweisbar
Laut einer DLF-Anfrage lässt sich in Berlin, Bremen und dem Saarland kein Rückgang der Bewerbungen nach Einführung von Tariftreueregeln feststellen. In Berlin nannten nur 0,8 % der befragten Unternehmen Tariftreue als Nicht-Teilnahme-Grund.
### 5. Kontrollen bleiben die Schwäche
Fast alle Bundesländer verzichten laut Report Mainz auf nachträgliche Kontrollen. Nur Stichproben deckten in Berlin, Bremen und dem Saarland rund 25–30 % Verstöße auf. Per Rosental fordert deshalb verpflichtende Stichproben statt nur anlassbezogener Prüfungen.
### 6. Verfassungsrechtlich ist alles geklärt, die Politik steht in der Pflicht
Das Bundesverfassungsgericht habe 2006 klargestellt, dass der Staat „nicht nur darf, sondern … sogar die Aufgabe“ habe, tarifliche Standards durch öffentliche Aufträge zu stärken, betont Thorsten Schulten. Bleibt offen, ob Bund und Länder die Regeln konsequent umsetzen.
## Einordnung
Der Beitrag arbeitet das Spannungsfeld zwischen fairen Löhnen und Bürokratikritik klar heraus. Besonders gelungen: Er zeigt die Realität auf Baustellen (schwarz arbeitende Subunternehmer, Insolvenz-Tricks) ebenso wie die Sorgen des Mittelstands. Die Journalistin lässt alle Seiten zu Wort kommen – Betroffene, Unternehmer, Verbände, Wissenschaft – und liefert harte Daten aus Ländern mit Tariftreue. Kritisch bleibt, dass Langzeitwirkungen auf Tarifbindung und Beschäftigung erst in Jahren messbar sind und viele Länder kaum kontrollieren. Insgesamt ein informatives Format mit hohem Mehrwert, das zeigt: Der Gesetzgeber kann öffentliche Aufträge als Hebel für bessere Arbeitsbedingungen nutzen – wenn Kontrollen und niedrige Schwellenwerte mitspielen.