Sternstunde Philosophie: Robert Macfarlane – Warum sind Flüsse Lebewesen?
Der Nature-Writer Robert Macfarlane erklärt, warum Flüsse Rechte bekommen sollten – und wie das die ökologische Krise entschärfen könnte.
Sternstunde Philosophie
55 min read3573 min audioIm Gespräch mit Olivia Röllin spricht der britische Bestseller-Autor Robert Macfarlane über seine Reise an Flüssen in Ecuador, Indien und Kanada. Dabei entwickelt er die zentrale These, dass Flüsse nicht als Ressource, sondern als lebendige Wesen mit Rechten betrachtet werden sollten. Macfarlane kombiniert persönliche Erlebnisse, indigene Weltbilder und juristische Beispiele aus Ecuador, Neuseeland und Spanien, um darzulegen, wie das westliche Natursubjekt-Denken überwunden werden kann. Die Diskussion reicht von der Kritik am anthropozentrischen Rechtssystem bis zur praktischen Umsetzung von Flussrechten durch Gerichte und Bürgerinitiativen. Das Gespräch bleibt dabei konsequent auf der Ebene der Lebensphilosophie und Rechtspolitik, ohne pseudowissenschaftliche Behauptungen oder verschwörungstheoretische Inhalte.
### Flüsse als lebendige Subjekte
Macfarlane berichtet, dass er Flüsse nicht länger als Objekte, sondern als „Mit-Wesen“ begreift. Diese Perspektive entstand durch vier Jahre Recherche und direkte Begegnungen mit Flüssen weltweit. Er zitiert seinen Sohn: „Papa, das wird ein sehr kurzes Buch. Die Antwort ist ja.“
### Rechtswandel in Ecuador
Seit 2008 erkennt Ecuadors Verfassung explizit die Rechte der Natur („Pachamama“) an. Macfarlane beschreibt, wie diese Norm ein Gerichtsurteil gegen Goldminen im Nebelwald Los Cedros ermöglichte. Derzeit steht der Fortbestand dieser Rechte unter Druck, weil die neue Regierung Bergbauinteressen stärker gewichtet.
### Praktische Umsetzung in Europa
Die spanische Salzwasserlagune Mar Menor wurde 2022 nach einer Bürgerkampagne zur Rechtsperson erklärt. 2025 wird der „See“ erstmals selbst als Kläger gegen Umweltverschmutzer auftreten. Macfarlane erklärt, dass künftig ein menschliches Gremium als formeller Anwalt des Gewässers fungiert – vergleichbar mit Vertretungen für Kinder oder Kulturgüter.
### Kulturelle Perspektiven und Kinderbilder
Der Autor zeigt, dass das westliche Erwachsenendenken Flüsse instrumentalisiert, während Kinder sie intuitiv als fühlende Wesen erleben. Er plädiert für ein „Verlernen“ des utilitaristischen Blicks und für die Wiederaneignung einer Beziehungsebene, die er als „Syntax der Flüsse“ bezeichnet: Verständnis für Zusammenhänge statt bloßes Benennen.
### Politische Brisanz und globale Relevanz
Die Debatte um Flussrechte wird eingebettet in größere ökologische Krisen (Biodiversitätsverlust, Klimawandel). Macfarlane betont, dass Rechte für Flüsse kein Nullsummenspiel seien; sie würden Menschenrechte nicht schwächen. Vielmehr signalisiere die Anerkennung anderer Wesen eine Erweiterung ethischer Empathie, die angesichts aktueller geopolitischer Konflikte dringend benötigt werde.
## Einordnung
Die Sendung ist ein klassisches journalistisches Interview, das mit klugen Nachfragen arbeitet und dem Thema Raum gibt. Röllin gelingt es, Macfarlanes teils poetische Argumentation auf konkrete Beispiele und Rechtsfragen zu beziehen. Besonders wertvoll ist die Einbettung in aktuelle Politik (Ecuador, Spanien, Schweizer Gewässerinitiativen). Es fehlen allerdings kritische Stimmen: Wissenschaftler:innen, die juristische oder ökologische Risiken der Rechtsidee benennen, oder Vertreter:innen indigener Gruppen, die solche Konzepte seit Jahrhunderten vertreten. Die Diskussion bleibt damit zwar anschlussfähig, aber einseitig. Der Podcast verbreitet keine problematischen Inhalte; er lotet vielmehr eine zukunftsweisende ethische Debatte aus, die in der breiten Öffentlichkeit noch unterrepräsentiert ist. Als Hintergrund-Gespräch für alle, die sich für Ökologie, Rechtsphilosophie und interkulturelle Naturverhältnisse interessieren, lohnt sich die Folge trotz fehlender Kontroversen.