Caren Miosgas Politik-Talk "Caren Miosga" (Deutschlandfunk) widmet sich der deutschen Außenpolitik unter dem Titel „Die deutsche Außenpolitik steht unter Druck“. Zu Gast sind der Alt-Diplomat Wolfgang Ischinger, Friedensforscherin Nicole Deitelhoff und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Sie alle beschreiben eine Zeitenwende: Die alten Gewissheiten – transatlantische Führung, billige russische Energie, deutsche Zivilmacht – seien weg, stattdessen herrsche Machtpolitik. Deutschland müsse sich von Nutznießer zu Gestalter wenden, finde dabei aber weder eine klare Strategie noch die nötige Entschlossenheit. ### 1. Die alten Koordinaten sind weg Ischinger diagnosticiziert, „dass die Gewissheiten der letzten Jahrzehnte alle verschwunden sind“ – sei es das Verhältnis zu Russland, China oder den USA. Deutschland dürfe sich nicht mehr auf amerikanische Sicherheit verlassen, sondern müsse Interessen definieren und „im Zweifelsfall auch notfalls mit militärischen Mitteln verteidigen“. Gabriel ergänzt, der US-Präsident betrachte sich „nicht als Präsident der freien Welt, sondern als Präsident der Vereinigten Staaten“. ### 2. Die Zivilmacht ist am Ende Deitelhoff konstatiert, dass die Selbstbeschreibung Deutschlands als „Vermittlungsmacht“ in den vergangenen 10–15 Jahren „zunehmend aufgegeben“ worden sei. Ohne schlagkräftige Mittel werde man „nicht wirklich ernst genommen“. Die Expertin fordert eine klare Entscheidung: entweder konsequente Führungsrolle oder bewusster Verzicht – Stückwerke reichten nicht. ### 3. Bundeswehr-Ausstattung als Dauerdiskurs Alle Gäste bemängeln, Deutschland diskutiere noch immer, „ob 100 Milliarden Sondervermögen reichen würden“, statt zu klären, „wie wir die Bundeswehr in drei, vier Jahren wieder voll einsatzfähig“ bekämen. Die Rüstungsdebatte bleibe defensiv und reaktiv, obwohl die Ampel bereits vor zwei Jahren die Zeitenwende ausgerufen habe. ### 4. Energie- und China-Abhängigkeiten gelten als sicherheitspolitisch riskant Gabriel spricht offen aus, dass die Bundesrepublik durch „billige russische Energie“ und Exportabhängigkeit „der verletzbarste Staat“ Europas geworden sei. Ischinger warnt, die USA machten „ein Stück weit klar: Wenn ihr jetzt keine Entscheidungen trefft … dann müssen wir euch nicht mehr helfen“. ### 5. Führungsanspruch ohne Führungskultur Die Gesprächspartner bemängeln ein durchgehendes Muster: Die Bundesregierung reagiere, anstatt zu initiieren. So sei die Ankündigung, die Ukraine-Hilfe zu verdoppeln, „mit Sicherheit“ auf Druck aus Washington erfolgt. Diese Zögerlichkeit, so die Einheit der Experten, untergrabe Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit innerhalb der EU wie gegenüber der NATO. ## Einordnung Die Sendung ist ein klassisches Talkradio-Format mit journalistischem Anspruch: vorgegebene Fragen, klare Rollenverteilung, keine Moderation auf Augenhöhe. Caren Miosga führt mit kurzen Impulsen, lässt aber kaum Konfrontation zu. Die Expertise der Gäste ist hoch, ihre Einschätzungen weitgehend kongruent: Deutschland befinde sich in einer strukturellen Krise der Außenpolitik, weil alte Narrative (Zivilmacht, Exportweltmeister, transatlantische Schutzherrschaft) zerbröckeln, neue jedoch fehlen. Dass kaum widersprüchliche Positionen vorgebracht werden, macht das Gespräch informativ, aber nicht kontrovers. Fehlende Perspektiven: Vertreter aus Zivilgesellschaft, Klima- oder Menschenrechtsorganisationen, parlamentarische Opposition und betroffene Staaten (Ukraine, Palästina, globale Süden) sind nicht eingeladen. So bleibt der Diskurs im elitären Machtzirkel, was der These von „Führungsrolle“ selbst widerspricht. Fazit: solide Sachinformation, aber wenig Neues für aufmerksame Beobachter. Hörempfehlung: Wer eine kompakte Bestandsaufnahme der außenpolitische Stimmung in Berlin sucht, bekommt sie hier knapp und aus erster Hand – mit Einschränkung durch fehlende kontroverse Gegenstimmen.