LÄUFT - Der Podcast von epd medien und Grimme Institut: 66. Wie der BR mit Mháire Stritter den "Tatort" neu aufrollt

BR Next entwickelt Pen & Paper-Tatorte für Twitch, um eine Zielgruppe zu erreichen, die nicht mehr weiß, wann der Tatort läuft.

LÄUFT - Der Podcast von epd medien und Grimme Institut
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Alexander Matzkeit spricht mit Mháire Stritter (Orkenspalter TV) und Benedikt Angermeier (BR Next) über die Entwicklung von Pen & Paper-Tatorten für Twitch. Der Bayerische Rundfunk experimentiert seit 2021 mit Live-Rollenspielen und hat das Format auf den Tatort übertragen, wo bekannte Streamer:innen als Ermittler:innen agieren. ### Zielgruppe kenne den Tatort kaum noch Das Format richte sich gezielt an eine jüngere Zielgruppe, die zwar noch die Marke Tatort kenne, aber nicht mehr wisse, "dass Sonntagabend um 20.15 Uhr der Tatort läuft", erklärt Angermeier. Eine Streamerin habe sogar gesagt: "Vielleicht kennt ihr den Tatort noch. Das ist so eine Serie. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, wann die läuft." ### Spielleitung sei ein "Ritterschlag" Stritter beschreibt ihre Rolle als professionelle Spielleiterin als große Herausforderung. Besonders beim Tatort müsse sie sicherstellen, dass nach sechs Stunden tatsächlich "der Täter oder die Täterin gefasst" werde. Das Format erfordere "genügend falsche Fährten" und "redundante Parts in dem Plot", die flexibel ein- und ausgebaut werden könnten. ### Improvisation schaffe anderen Tonfall Im Gegensatz zum klassischen Fernsehtatort entstehe die Geschichte durch Improvisation der Teilnehmenden. Stritter betont: "Die Creator und die Creatorinnen, das sind die Menschen, die am Abend vor Ort sind. Und die sind auch die Autorinnen, die erzählen die Geschichte." Dies führe zu unvorhersehbaren Wendungen und einem authentischeren Ermittlungsprozess. ### Twitch funktioniere nur über "Vitamin B" Die Plattform Twitch stelle besondere Herausforderungen dar, da sie "eine sehr enge Zielgruppe" habe und "eigentlich nur über Vitamin B" funktioniere. Ohne die etablierten "Seilschaften" sei es schwierig, Zuschauergruppen zu erreichen. Der BR müsse "Durchhaltevermögen" beweisen und Community-Arbeit leisten. ### Format wachse trotz Konkurrenz Trotz der Schwierigkeiten zeigten die Zahlen positive Entwicklungen. Viele Zuschauer:innen kämen "nur wegen dem Twitch-Tatort" zur ARD zurück. Das Format sei "das einzige fiktive Format des ARD-Kanals auf Twitch" und erreiche erfolgreich die angestrebte Zielgruppe. ## Einordnung Das Gespräch bietet einen seltenen Einblick in die Herausforderungen öffentlich-rechtlicher Innovationsprojekte und zeigt, wie traditionelle Formate für digitale Zielgruppen adaptiert werden. Bemerkenswert ist die Offenheit, mit der die Gesprächspartner:innen die Schwierigkeiten thematisieren: von der schwindenden Tatort-Bindung junger Zuschauer:innen bis zu den strukturellen Problemen auf Twitch. Die Analyse verdeutlicht einen medialen Wandel, bei dem etablierte Marken neue Wege suchen müssen, um Relevanz zu behalten. Stritters Beschreibung ihrer Rolle als "Ritterschlag" und die Betonung der Improvisation als Kernelement zeigen, wie sich Erzählformen verändern. Gleichzeitig werden die Machtverhältnisse auf Twitch als problematisch identifiziert - die Plattform funktioniere hauptsächlich über persönliche Netzwerke statt Inhaltsqualität. Das Format selbst wird als gelungenes Experiment dargestellt, das authentische Ermittlungsarbeit durch Improvisation schafft und dabei thematische Akzente setzt. Die Diskussion bleibt jedoch oberflächlich bei der Frage, ob diese Nischenstrategie langfristig tragfähig ist oder ob der öffentlich-rechtliche Auftrag andere Prioritäten erfordern würde.