Hintergrund: Proteste in Serbien - Statt Neuwahlen nur mehr Gewalt
Deutschlandfunk beleuchtet die serbischen Proteste: Gewalt, Repression und die Hoffnung auf Neuwahlen gegen ein autoritär geführtes Land im EU-Beitrittsprozess.
Hintergrund
22 min read1139 min audioDer Deutschlandfunk-Podcast „Hintergrund“ beleuchtet die seit November 2023 andauernden Massenproteste in Serbien. Studierende fordern nach dem Bahnhofsunfall von Novi Sad mit 16 Toten Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und vor allem vorgezogene Neuwahlen. Sie kritisieren das 13-jährige Regime von Präsident Aleksandar Vučić (SNS) als korrupt und autoritär. Die Regierung reagiert mit zunehmender Gewalt: Polizeieinsätze mit Tränengas, Festnahmen, Schläge, wirtschaftliche Repressalien gegen Protestteilnehmer:innen sowie gezielte Provokationen durch verdeckt agierende Regierungsanhänger:innen. Die heterogene Bewegung will mit einer „Studierendenliste“ antreten, lehnt aber Koalitionen mit der gespaltenen Opposition ab. Politolog:innen sehen eine Pattsituation: Entweder eskaliert die Gewalt weiter, oder Vučić lässt doch noch Wahlen zu, fürchtet aber eine Niederlage. Die Folge zeichnet sich durch eine klare Struktur, differenzierte Perspektiven und journalistische Sorgfalt aus.
### 1. Regierungsgewalt eskaliert
Die Polizei setzt laut Augenzeug:innen gezielt Pfefferspray, Schläge und Tränengas gegen friedliche Demonstrant:innen ein. Dušan Cvetković berichtet: „They just attacked me. I did nothing, I was just standing there.“ Die Taktik erinnere an das Milošević-Regime vor 25 Jahren.
### 2. Wirtschaftliche Repressionen
Protestierende erleben Jobverlust, steuerliche Sonderprüfungen und Sachbeschädigung. Blumenhändler Jovan Nenadić zählte sieben Behörden-Besuche innerhalb weniger Wochen; sein Laden wurde zweimal mit Brandsätzen angegriffen: „government inspection, of course.“
### 3. Gespaltene Medienrealitäten
Unabhängige Sender zeigen verdeckte Regierungsprovokateure auf Demos, während Regierungsnahe Boulevardmedien Protestierende als „Terroristen“ oder „ausländische Agenten“ diffamieren. 95 % der Berichterstattung folge laut Journalist Rade Đurić dieser Linie.
### 4. Opposition ohne Strategie
Die traditionelle Opposition gilt als zerstritten und ineffektiv; viele serbische Bürger:innen vertrauen ihr nicht. Die neue Studierendenliste führt derweil in Umfragen, könnte aber ohne Bündnisse im Parlament isoliert stehen.
### 5. Zwei mögliche Enden
Politologe Vedran Džihić nennt nur Szenarien: weitere Eskalation der Gewalt oder ein überraschendes Regierungskapitol bei Neuwahlen. Ein rascher Sturz wie 2000 ist unwahrscheinlich, weil Sicherheitsapparat noch geschlossen hinter Vučić stehe.
## Einordnung
Die Sendung arbeitet professionell: reporterische Recherche, differenzierte Quellen und ein klarer roter Faden. Besonders gelungen ist die multiperspektivische Darstellung – Aktivist:innen, Opfer, Befürworter:innen und Analyst:innen kommen zu Wort, ohne dass sich die Redaktion inhaltlich parteischlägig positioniert. Die argumentative Struktur bleibt stringent: Problemaufriss – exemplarische Betroffene – politischer Kontext – mögliche Auflösungen. Die Sprache ist sachlich, Metaphern sind sparsam gesetzt. Kritisch anzumerken ist, dass die Regierungsperspektive zwar durch kurze Zitate vertreten ist, aber kein ausführliches Interview mit Vučić oder hochrangigen SNS-Vertreter:innen gelingt; dadurch bleibt die Gegenseite blass. Die Machtasymmetrie zwischen staatlicher Repression und ziviler Protestbewegung wird jedoch deutlich sichtbar gemacht und der Anspruch an Rechtsstaatlichkeit im EU-Beitrittskontext reflektiert. Rechte oder verschwörungstheoretische Inhalte sind nicht erkennbar; es dominiert die demokratiepolitische Frage, wie ein autoritärer Einschnitt verhindert werden kann. Die Folge bietet einen fundierten Überblick über eine komplexe gesellschaftliche Pattsituation und liefert wichtige Hinweise auf mögliche Eskalationsdynamiken.