Ones and Tooze: The Doomsday Seed Vault

Ein tiefer Einblick in globale Samenbanken, den Verlust genetischer Vielfalt und die Kolonialökonomie Alaskas.

Ones and Tooze
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Die Episode "Ones and Tooze" widmet sich zwei Themen: dem Svalbard Global Seed Vault mit 1,3 Millionen gespeicherter Samen und der Wirtschaft Alaskas mit nur 1,3 Einwohner:innen pro Quadratmeile. Historiker Adam Tooze erklärt, dass Samenbanken als Versicherung gegen Katastrophen dienten – von Naturkatastrophen bis hin zu Kriegen. Er erzählt die dramatische Geschichte des russischen Genetikers Nikolai Vavilov, der 1940 verhaftet und im Gulag verhungerte, nachdem er 380.000 Samenproben gesammelt hatte. Tooze kritisiert, dass nur 30 Millionen Dollar weltweit in die Erhaltung genetischer Vielfalt fließen, während vier Konzerne 50 % des globalen Saatgutmarktes kontrollieren und 75 % der Sortenvielfalt seit 1900 verloren gegangen sei. Im zweiten Teil analysiert er Alaska als klassische Kolonie mit extraktiver Wirtschaft, militärischer Präsenz und einem von Öl finanzierten Bürgerdividenden-System, das wie bedingungsloses Grundeinkommen wirke. ### Die Samenbank als globale Versicherung Tooze beschreibe Samenbanken als "Versicherung gegen die Möglichkeit, dass etwas wirklich Schlimmes passiert" – sei es durch Naturkatastrophen wie den Wirbelsturm in Myanmar, Kriege wie in Syrien oder den Klimawandel. Die globale Samenbank sei so konzipiert, dass sie "katastrophenfest" sei und die Samen auch ohne Stromversorgung konserviere. ### Die Tragödie von Nikolai Vavilov Der russische Wissenschaftler habe "die außergewöhnliche Idee" gehabt, alle Samen der Welt zu sammeln, sei 1940 verhaftet und im Gulag "verhungert", während seine Kolleg:innen in Leningrad während der Belagerung verhungerten, statt die seltenen Getreidesamen zu essen – "eine wirklich grafische Demonstration, wie Wissenschaft und Wissen mit Macht und Grauen verwoben sind". ### Kontrolle durch Agrarkonzerne Vier Unternehmen kontrollierten etwa 50 % des globalen Saatgutmarktes – Bayer, BASF, Corteva (DowDuPont) und Syngenta. Tooze kritisiert, dass diese Unternehmen durch Patent- und IP-Rechte eine Abhängigkeit schaffen: "Es ist fast wie ein Schutzgeldsystem. Sie verwenden unsere Chemikalien, Sie brauchen unsere Samen." ### Verlust der genetischen Vielfalt Die UN-Organisation FAO gehe davon aus, dass "75 % der weltweiten Kulturpflanzensorten zwischen 1900 und 2000 verschwunden" seien. Tooze warnt: "Das ist eine riesige Wette, die wir eingehen. Diese besseren Samen müssen wirklich gut sein." ### Alaska als Kolonie Alaska werde durch extraktive Industrien (Pelze, Gold, Öl) und militärische Präsenz dominiert – "eine ungewöhnliche Instanz der frühen Geschichte des amerikanischen Nationalstaatsgebiets". Die Ölreichtümer würden von großen US-Konzernen kontrolliert, während die Bevölkerung nur durch das Permanent Fund Dividend System profitiere – eine Form von bedingungslosem Grundeinkommen. ### Die paradoxe Sozialpolitik Das von republikanischen Gouverneur Jay Hammond eingeführte System sei "weniger Sozialismus als eher universelles Grundeinkommen" und werde weltweit als Testfall bewundert – "Armut geht zurück, die schlimmsten Auswirkungen von Ungleichheit werden gemildert". ## Einordnung Die Episode zeigt das Profil eines professionellen Wirtschaftspodcasts mit hoher journalistischer Qualität. Tooze präsentiert komplexe Zusammenhänge zwischen globaler Agrarpolitik, Kolonialgeschichte und Ökonomie anschaulich und mit historischer Tiefe. Die Argumentation folgt einer klaren Struktur: von der konkreten Institution (Samenbank) über die historische Genese bis zur aktuellen politischen Kritik. Besonders bemerkenswert ist die Verbindung von Mikro- und Makroebene – wie die Geschichte eines einzelnen Wissenschaftlers zur globalen Nahrungsmittelpolitik führt. Die Perspektive ist eindeutig westlich-akademisch, wobei Tooze die Machtasymmetrien zwischen globalen Konzernen und lokalen Bauern:innen kritisch beleuchtet. Alaska wird als klassisches Beispiel für "innere Kolonisierung" analysiert – die extraktive Wirtschaft zieht Ressourcen aus dem Territorium, während die Bevölkerung nur durch eine sozialstaatliche Transferleistung partizipiert. Die fehlende Perspektive indigener Gruppen auf ihre eigenen Ressourcen bleibt unausgesprochen. Hörer:innen erhalten eine fundierte, wenn auch einseitige Einführung in globale Agrarpolitik und Ressourcenökonomie. Hörempfehlung: Wer eine anspruchsvolle, historisch informierte Analyse globaler Wirtschafts- und Umweltpolitik sucht, findet hier eine klare Empfehlung.