Hintergrund: Wehrpflicht - Interesse an Kriegsdienstverweigerung steigt
Der DLF beleuchtet die Debatte um die Wiedereinführung des Wehrdienstes, steigende Verweigerungszahlen und das Fehlen eines Zivildienst-Konzepts.
Hintergrund
20 min read1138 min audioDer DLF-Hintergrundbeitrich beleuchtet die Debatte um die geplante Wiedereinführung eines (zunächst freiwilligen) Wehrdienstes und die damit einhergehende steigende Nachfrage nach Kriegsdienstverweigerung. Isabel Fannrich-Lautenschläger spricht mit Jurist:innen, Militärsoziolog:innen, Friedensaktivist:innen, Betroffenen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. Die zentralen Konflikte: Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die mögliche Pflicht per Rechtsverordnung, fehlende gesetzliche Regelungen für einen Zivildienst, Auswahlverfahren, die gegen Wehrgerechtigkeit verstoßen könnten, und mangelnde Beteiligung der Jugendlichen, die betroffen wären. Die Bundeswehr verzeichnet zwar mehr Bewerbungen, doch die Abbruchsquote ist hoch. Parallel steigt die Zahl der Verweigerungsanträge (2025: über 2.000). Die meisten Ratsuchenden seien junge Männer, gefolgt von besorgten Eltern und Reservist:innen. Kritisiert wird, dass Politik bisher kaum über den zivilen Ersatzdienst spreche und Sozial-Jahre nicht adäquat finanziell gefördert würden.
### 1. Verfassungsklare Schwächen des Gesetzes
David Werdermann betone, die mögliche Verpflichtung per Rechtsverordnung ohne Parlamentsdebatte sei „verfassungswidrig“. Das Grundgesetz verlange ein formelles Gesetz, weil die Grundrechte der Betroffenen erhelich eingeschränkt würden.
### 2. Wehrgerechtigkeit vs. Auswahlmodell
Sowohl das schwedische Auswahl- als auch das dänische Losverfahren würden gegen das deutsche Verständnis einer „allgemeinen Wehrpflicht“ verstoßen. Gerichte hätten wiederholt eine gleichmäßige Heranziehung gefordert.
### 3. Jugendliche sind skeptischer als die Gesamtbevölkerung
Laut ZMSBw-Umfrage befürworten 53 % aller Befragten eine Wiedereinführung, bei 16- bis 29-Jährigen nur 42 %. Fast die Hälfte der jungen Menschen fürchtet einen Freiheitsverlust – ein deutliches Kommunikationsdefizit der Politik.
### 4. Reservisten und Junge verweigern vermehrt
Die Deutsche Friedensgesellschaft verzeichnete einen Anstieg der Website-Zugriffe von 25.000 (Mai 2024) auf über 125.000 (Sept. 2024). Die Zahl der Verweigerungsanträge stieg im gleichen Zeitraum auf mehr als 2.000, davon 926 von Reservist:innen.
### 5. Zivildienst bleibt politisch unsichtbar
Trotz verfassungsrechtlicher Pflicht zu einem Ersatzdienst fehlen Konzepte und Finanzierung. Soziale Dienste könnten laut Diakonie nur funktionieren, wenn Freiwilligenarbeit pädagogisch und finanziell ernst genommen werde.
### 6. Junge Menschen werden nicht ernst genug gefragt
Quentin Gärtner (Bundesschülerkonferenz) monierte mangelnde Beteiligung: „Warum werden im Verlaufe von so einem Gesetz … nicht die jungen Leute beteiligt?" Die Bundesschülerkonferenz fordert stärkere Investitionen in Bildung und psychische Gesundheit, statt allein auf Kasernen zu setzen.
## Einordnung
Der Beitrag arbeitet ein komplexes Spannungsfeld auf, ohne eindeutige Parteinahme. Die DLF-Redaktion lässt kritische Stimmen (Verfassungsrecht, Friedensbewegung, Jugendvertretung) ebenso zu Wort wie die Bundeswehr-Statistik und die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung. Besonders gelungen: Die Perspektive der Betroffenen (Reservist Bachmann-Scheurell, Jugendliche vor dem Karriere-Center) wird lebendig einbezogen. Schwächen zeigen sich bei der Faktencheck-Tiefe: Die Behauptung, nur per Rechtsverordnung drohe eine Pflicht, wird nicht konterkariert – das Verfahren sieht zusätzlich eine Zustimmung des Bundestags vor. Auch bleibt die Frage offen, wie die geplanten 260.000 Soldat:innen mit freiwilligen Mitteln erreicht werden sollen. Insgesamt liefert der Podcast eine klare Orientierung für Hörer:innen, die sich schnell in die Debatte einlesen wollen, ohne parteipolitische Kampagnenstimmung.