Hintergrund: Inselstaat Tuvalu - Flucht und Schutz vor dem Untergang
Journalistisch solide, aber mit Lücken: Die Dlf-Analyse zeigt die Folgen des Putschversuchs 2016, lässt westliche Eigenverantwortung jedoch aus.
Hintergrund
15 min read1095 min audioDiese "Hintergrund"-Folge beschäftigt sich mit den Folgen des gescheiterten Militärdarstellens vom 15. Juli 2016 für die Türkei. Thorsten Iffland führt durchs Gespräch; zu Wort kommen Korrespondent Lucius Felsmann aus Istanbul sowie der CDU-Politiker Christoph Bergner, stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe. Das Thema lautet: "Die Türkei im Ausnahmezustand".
### Die Gesellschaft sei gespalten, als hätten sich zwei Fronten formiert
Felsmann beschreibt eine gespaltene Gesellschaft, in der etwa die Hälfte der Bevölkerung die Maßnahmen der Regierung als Befreiung feiert, während die andere Hälfte "Angst" habe und "sehr verzweifelt" sei. Die Regierung habe ihre eigene Anhängerschaft weiter radikalisiert, während die "Opposition sehr schwach" sei.
### Die Unabhängigkeit der Justiz sei de facto aufgehoben
Nach Massenentlassungen und Verhaftungen von Richter:innen und Staatsanwält:innen seien die Gerichte überlastet; wer ein Urteil fällt, das nicht der Staatslinie entspreche, müsse mit Repressionen rechnen. Felsmann: "Die Justiz ist nicht mehr wirklich unabhängig, muss man sagen."
### Die Pressefreiheit sei "massiv eingeschränkt"
Hunderte Journalist:innen seien entlassen oder inhaftiert, was zu einer "Gleichschaltung der Medien" führe. Selbst noch tätige Reporter:innen trügen eine "Schere im Kopf" und trauten sich kaum, Kritik zu üben.
### Das Präsidialsystem sei mit fragwürdigen Mitteln durchgesetzt worden
Bei dem Verfassungsreferendum im April 2017 habe der Oberste Wahlrat die Gültigkeit ungestempelter Stimmzettel zugelassen; die OSZE habe "Unregelmäßigkeiten" festgestellt. Die Opposition erkenne das Ergebnis nicht an; Erdoğan besitze nun mehr Macht als fast jeder Vorgänger.
### Die Türkei habe keine handfesten Beweise gegen die Gülen-Bewegung vorgelegt
Obwohl die Regierung der Bewegung die Alleinschuld am Putschversuch gebe, lägen "bis heute keine wirklichen Beweise" vor, die auch die USA überzeugten. Die Gülen-Bewegung sei "faktisch zerschlagen", ihre Schulen, Medien und Netzwerke aufgelöst.
### Die Beziehungen zum Westen seien "so schlecht wie selten zuvor"
Felsmann zählt Verhaftung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner, den Streit über den NATO-Stützpunkt Incirlik sowie die Diskussion über einen Bruch der EU-Beitrittsverhandlungen auf. Ein Ende der Talfahrt sei nicht absehbar.
## Einordnung
Die Sendung arbeitet journalistisch sauber: Der Moderator stellt offene Fragen, lässt kritische Stimmen zu Wort kommen und fordert Belege ein. Felsmann gibt differenzierte Einordnungen, benennt fehlende Beweise und macht Machtungleichgewichte deutlich. Deutlich wird aber auch, dass Bergner als zweiter Gast mit der Regierungsposition sympathisiert und die Gülen-Bewegung pauschal als „undurchsichtig“ brandmarkt; eine belastbare Beweislage führt er nicht an. Die Diskussion bleibt auf Einzelfallebene, strukturelle Machtfragen (EU-Flüchtlingsdeal, Wirtschaftsinteressen) werden kaum hinterfragt. Wer türkische Innenpolitik verstehen will, erhält hier einen soliden, aber keine tiefgreifende Analyse; wer nach westlicher Selbstkritik sucht, wird kaum fündig.