Studio 9 – Das Wochenendjournal beleuchtet den 80. Geburtstag des Tagesspiegels, die Suspendierung von Jimmy Kimmel wegen einer KI-Parodie an Trump sowie die Frage, wie öffentlich-rechtliche Sender politische Balance halten. Im Gespräch mit Chefredakteur Christian Tretbar wird die Selbstwahrnehmung des Blatts als „Anwalt der Stadtgesellschaft“ sichtbar: geprägt von bürgerlichem Anspruch, Kalter-Krieg-Brückenfunktion und späterem Selbstanspruch auf gesamtberlinische Repräsentanz. Tretbar zeigt, dass der Tagesspiegel sich nicht primär an Links- oder Rechtspositionen orientiert, sondern an einer „breiten bürgerlichen Mitte“, wobei digitale Paid-Content-Strategie (über 100.000 Digital-Abonnent:innen) als Wachstumsmotor fungiert. Die US-Debatte um Kimmel wird aus Sicht eines deutschen Medienkorrespondenten als Beleg für Spaltung zwischen „konservativer Wahrheitsrhetorik“ und „liberaler Satirefreiheit“ präsentiert, ohne tiefer in regulatorische oder journalistische Implikationen von KI-Fälschungen einzusteigen. Die anschließende Podiumsdiskussion zu Politmagazinen (Archivmitschnitt 2014) wirft die Frage auf, ob Anstalten wie Panorama, Monitor & Co. heute „noch politisch“ seien, was die Runde mit Verweis auf Personal- und Strukturverluste eher bejaht. ### 1. Tagesspiegel sieht sich seit 1945 als gesamtberlinerisches, nicht parteipolitisches Sprachrohr Tretbar betont, das Blatt habe sich nie als „Sprachrohr der Politik“ verstanden, sondern als „Anwalt der Stadtgesellschaft“. Die amerikanische Lizenzierung verpflichte zu Unabhängigkeit; Kalter-Krieg-Forderung nach klarem West-Bekenntnis habe man mit Selbstbestimmtheit abgelehnt. „Wir sind Journalisten, wir sind nicht die Vertreter der Politik, wir sind nicht die Vertreter der Alliierten.“ ### 2. Digitalwachstum statt Print-Nostalgie: 100.000 zahlende Online-Abonnent:innen Seit 2018 wachse die Print-Auflage wieder, doch das digitale Paid-Modell gelte als „zentrale Wachstumsstrategie“. Tretbar sieht den Verlag als „Medienunternehmen“, das mit Paywall und mobilen Angeboten „so viele Menschen wie möglich in Berlin“ mit „hochwertigem, bezahltem Journalismus“ erreiche. ### 3. Jimmy-Kimmel-Suspendierung entzweit US-Öffentlichkeit zwischen „Satire“ und „Fake-News-Angriff“ KI-generierter Trump-Satz („I’m an asshole“) wurde markiert, trotzdem folgte 2-wöchige Auszeit; Fox News rief zum Boykott von ABC auf, Elon Musk bezeichnete die Maßnahme als „Absurdität“. Spiegelhauer stellt die Debatte als Beleg für „tiefe Spaltung“ dar, ohne regulatorische Konsequenzen oder journalistische Leitlinien zur Kennzeichnung von KI-Parodien zu diskutieren. ### 4. Öffentlich-rechtliche Berichterstattung: Balance durch „Links-Rechts-Parität“ oder Neutralität? Beitrag von Bernd Gäbler zitiert Forderungen nach „ausgewogener“ Besetzung von Talk-Gästen sowie einigen Sendeverantwortlichen, die „ein deutliches linksliberales Selbstverständnis“ einräumen. Kritisiert wird die „Öko-Linke“-Dominanz bei Themen wie Klimaschutz und Migration; eine systematische Prüfung dieser Behauptung bleibt aus. ### 5. Politmagazine sollen laut Archivrunde 2014 weiter „politisch“ sein, leiden aber an Ressourcenmangel Monika Wagener, Astrid Frohloff u. a. erinnern sich, dass investigativ- politische Formate wie Panorama durch Personalkürzungen und Journa- lismus-Wirtschaftlichkeits-Konflikte an Einfluss verloren hätten; ein Nach-Panorama-Konzept für digitale Zeiten fehle bislang. ## Einordnung Die Sendung wirkt wie ein klassisches Wochenend-Magazin: breit gestreute Themen, hoher Anspruch, aber nur begrenzte Tiefe. Besonders auffällig ist die Selbstverständlichkeit, mit der Sprecher:innen „die Mitte“ oder „die Stadtgesellschaft“ als Einheit benennen – Marginalisierte oder post-migrantische Perspektiven fehlen. Die US-Kritik an Kimmel wird zur Steilvorlage für die deutsche Interpretation „Amerika ist gespalten“, doch weder journalistische KI-Regeln noch die Macht von Tech-Milliardären wie Musk werden hinterfragt. Bei der ÖRR-Diskussion dominiert die These einer „Links-Übermacht“, ohne dass Studien oder Gegenbeispiele eingebracht werden; ein verdeckter Rechts-Frame bleibt spürbar. Die Historie des Tagesspiegels wird zwar als demokratisches Erfolgsmodell erzählt, doch bleibt offen, wie Machtverhältnisse im Verlag (Streik-Auswirkungen, Diversität auf Chef-Ebene) heute aussehen. Insgesamt ein professionell produziertes, aber argumentativ konservatives Format, das Selbstreflexion weitgehend vermissen lässt.