FALTER Radio: Korruptionsprozess gegen ÖVP-Klubchef August Wöginger - #1484
Der Falter zeigt am Fall Wöginger, wie österreichische Parteien Posten zuweisen und warum Diversionen systemische Korruption kaschieren.
FALTER Radio
40 min read2336 min audioIm Falter-Radio diskutieren Journalist:innen und Expert:innen den Korruptionsprozess gegen ÖVP-Fraktionschef August Wöginger wegen Amtsmissbrauch bei der Besetzung des Finanzamts Braunau. Die Beteiligten geben zwar ein Fehlverhalten zu, kommen aber per Diversion ohne Vorstrafe davon. Die juristisch Qualifizierte Christa Scharf, damals um den Posten betrogen, kritisiert die Straffreiheit; Antikorruptionsexperte Martin Kreutner bedauert das Fehlen eines Präzedenzurteils. Ex-Sektionschef Manfred Matzka fordert Konsequenzen wie Rücknahme der fraglichen Ernennung. Die Diskussion zeigt, wie tief Parteipolitik in österreichische Verwaltung reicht und wie „Begutachtungskommissionen“ oft nur Fassade sind.
### Erstmals Gericht: Postenschieberei ist Amtsmissbrauch
Die Richterin stellte laut Eva Konzett klar, dass die gezielte Umgehung des offiziellen Auswahlverfahrens strafrechtlich relevant sei. Die Diversion bestätige daher ein objektives und subjektives Tatbild, wie Kreutner betont.
### Geständnis erst auf dem Zollstock des Verfahrens
Die Angeklagten hätten bis zuletzt ihre Unschuld beteuert, bevor sie die Verantwortung übernahmen. Für Christa Scharf bleibt dieses Taktieren unglaubwürdig.
### Systemproblem: Kommissionen werden vorab gesteuert
Matzka und Konzett zeigen auf, dass die „unabhängigen“ Begutachtungskommissionen durch gezielte Besetzung oft den gewünschten Ausgang sichern. In Braunau habe ein einzelnes unbequemes Mitglied beim zweiten Versuch ausgetauscht werden müssen.
### Generalprävention verschenkt
Kreutner bemängelt, dass mit der Diversion die Chance vertan wurde, ein Signal für künftige Amtsinhaber zu setzen. Die „Generalprävention“ bleibe aus, wenn hochrangige Politiker trotz Schuldeingeständnisse keine nachteiligen Konsequenzen fürchten.
### Beamtin als „Lehrbeispiel“ für Behörden
Scharf erhielt laut Kreutner nur deshalb Recht, weil sie sich selbst wehrte. Solche mutigen Beamten seien „zu selten“, obwohl gerade sie das Vertrauen in die Republik stärken.
### Österreichs „Parteipolitischer Tribalismus“
Kreutner nennt die heimische Freunderlwirtschaft einen „lokalen Clan-Mechanismus“, dem Entwicklungsländern oft vorgeworfen werde. Die Toleranz dafür sinke, aber die Machtzentren säßen weiter tief in den Parteien.
## Einordnung
Der Podcast liefert kein Verdikt, sondern Einblick in ein Verfahren, das die politische Kultur des Landes spiegelt. Besonders wertvoll: Die Redaktion lässt eine betroffene Beamtin, eine Expertin, einen Insider und eine investigativ Recherchierende gleichberechtigt zu Wort kommen. So entsteht ein vielschichtiges Bild, das über Einzelfall hinausgeht. Die journalistische Stärke liegt darin, systemische Muster sichtbar zu machen: wie formale Unabhängigkeit durch Parteigänger unterwandert wird und wie Diversionen politische Verantwortung entschärfen. Diskussionskultur ist offen, aber nicht neutral; kein Sprecher verharmlost das Fehlverhalten. Manche Passagen wirken wie interne Bilanz, andere wie Lehrstunde für Verwaltungsethik. Die Folge zeigt eindrucksvoll: Ohne öffentlichen Druck und mutige Einzelne bliebe Postenschieberei weiterhin Alltag. Hörempfehlung für alle, die wissen wollen, warum formelle Regeln allein Korruption nicht stoppen.