Input: Kosmos Bahnhof – Freizeitmeile oder gefährliche Zone?

Die SRF-Reportage zeigt den Bahnhof Aarau als sozialen Brennpunkt – zwischen Angst und Zugehörigkeit.

Input
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Der SRF-Podcast «Input» widmet sich in dieser Folge dem Bahnhof Aarau als sozialen Brennpunkt. Reporter Michael Bolliger verbringt einen Tag zwischen Pendler:innen, Sicherheitskräften und einer Gruppe von Menschen, die als „randständig“ gelten – Suchtkranke, Obdachlose, Asylsuchende. Die zentrale Frage lautet: „Wem gehört der Bahnhof?“ ### 1. Die Bahnhof-Familie Die Gruppe am Haupteingang bilde eine Art Ersatzfamilie, in der sich gegenseitig geholfen werde. Sandra Peter, langjährige Streetworkerin und frühere Drogenabhängige, sei für viele „Bahnhofmami“. Sie bringe regelmäßig überschüssige Lebensmittel und schaffe so Vertrauen. „Mir lueged uf enand, mir sind e grossi Familie“, sagt eine Gesprächspartnerin. ### 2. Die Angst der Passant:innen Viele Reisende berichten von Unsicherheit – auch ohne konkrete Erlebnisse. „Es macht Angscht, ja, es sind viel betrunkeni Lüt, es sind laufe viel Lüt eifach ume, äh, spräched dich a, ohni dass du das wetsch“, sagt eine junge Frau. Die SBB hingegen spreche von stabilen Sicherheitszahlen und einem grundsätzlich sicheren Umfeld. ### 3. Die Sicherheitsstrategie ohne Waffen Ein besonderer Sicherheitsdienst – SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) – patrouilliere ohne Waffen, dafür mit Abfallsäcken und Aschebechern. „Mir sind ergänzend zu de Polizei im öffentliche Ruum underwägs“, erklärt Peter Ritter, Leiter des Dienstes. Sauberkeit und Präsenz wirkten beruhigend. ### 4. Die gegenseitige Schuldzuweisung Die Konfliktlinien verliefen quer durch alle Gruppen. Pendler:innen fühlten sich von den „Randständigen“ bedroht, diese wiederum berichteten von Gewalt durch „die Schwarzen“ – wobei unklar bleibe, ob dies rassistisch motiviert sei oder sich auf eine konkrete Gruppe beziehe. Die tatsächlichen Gefahren lägen jedoch woanders: Belästigungen und Übergriffe durch Männer seien das größere Problem. ## Einordnung Die Reportage gelingt das Kunststück, ohne erhobenen Zeigefinger zwischen den Welten zu vermitteln. Bolliger vermeidet es, einfache Antworten zu liefern – stattdessen zeige er, wie sehr subjektive Wahrnehmung und objektive Risiken auseinanderdriften. Besonders bemerkenswert: Die SBB-Daten widersprechen dem allgegenwärtigen Gefühl der Unsicherheit, was die Frage aufwirft, ob die Angst vor „den Anderen“ nicht auch eine Projektion eigener Unsicherheiten sei. Die Reportage bleibt journalistisch sauber, ohne sich auf Seiten zu schlagen – und macht doch deutlich, dass der Bahnhof allen gehört, nicht nur denen, die sich sicher fühlen. Hörwarnung: Wer klare Feindbilder sucht, wird enttäuscht – diese Folge verlangt Offenheit für komplexe soziale Realitäten.