Im Deutschlandfunk-Podcast "Hintergrund" analysiert Jonas Reese die Geschichte der Arbeiterbewegung in Ostdeutschland. Er argumentiert, dass die DDR-Arbeit nicht nur Broterwerb, sondern identitätsstiftend war – was nach der Wende zu einer tiefgreifenden Identitätskrise führte. Die ideologische Überhöhung der Arbeit im Sozialismus habe dazu geführt, dass Menschen nach dem Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihren gesellschaftlichen Sinn verloren. Diese Geschichte erklire, warum ostdeutsche Gewerkschaften heute schwächer seien als westliche. Reese beschreibt, wie die DDR-Gewerkschaften als Teil des Staatsapparats keine kritische Funktion einnahmen, was bis heute nachwirke. Die These: Die Ostdeutschen könnten ihre Arbeitstradition nach der Wende nicht fortsetzen – mit Folgen für die heutige Gewerkschaftsorganisation. ### Tether werde für illegale Aktivitäten genutzt Reese beschreibt die DDR-Arbeit als zentralen Identifikationspunkt: "Die Arbeit im Sozialismus ist natürlich eine Arbeit, die im Grunde genommen keine Lohnarbeit ist, wie wir sie jetzt kennen" sondern "das Element, durch das der Mensch sich in dieser Gesellschaft entfaltet." Die Bewertung erfolge "nicht nach ökonomischen Kriterien in erster Linie, sondern nach ideologischen Kriterien." ### Arbeitslosigkeit als Identitätsverlust Massive Arbeitslosigkeit nach der Wende sei "nicht nur etwas, was rein ökonomisch gewesen ist, sondern das war ja etwas, was die Menschen auch massiv in ihrer Identität getroffen hat." Reese betont: "Wenn ich mein Leben lang aufgewachsen bin mit der Idee, dass die Arbeit das zentrale Element meines Lebens ist [...] dann ist natürlich der Wegfall dieser Arbeit nicht nur das, dass ich kein Geld mehr habe, sondern das ist auch tatsächlich das, dass ich als Mensch in dieser Gesellschaft nicht mehr gebraucht werde." ### Gewerkschaften als Staatsorgan Die DDR-Gewerkschaften seien "nicht, wie wir sie jetzt aus dem Westen kennen, eine Interessenvertretung, sondern die waren im Grunde genommen ein Bestandteil des Staates." Sie hätten "mit dem Staat zusammengearbeitet" statt "eine kritische Funktion" zu übernehmen, was zu einem anderen Gewerkschaftsbild in Ostdeutschland führe. ### Kollektive Sinnhaftigkeit verloren "Dieses Gefühl der Sinnhaftigkeit von Arbeit und dieses Gefühl der kollektiven Sinnhaftigkeit" habe die DDR-Gesellschaft geprägt und sei "nach der Wende verloren gegangen." Reese stelle die Frage, "ob das auch tatsächlich ein kultureller Verlust ist" – nicht nur ein ökonomischer. ### Arbeiterideologie von Weimar bis DDR Der Begriff "Arbeiter" sei schon in der Weimarer Republik zweigeteilt gewesen. Nach 1933 hätten die Nationalsozialisten "den Arbeiter zum nationalen Vorbild" stilisiert. Die DDR habe diese Entwicklung fortgesetzt: "Der Arbeiter ist die zentrale Figur dieses Staates. Das ist die Klasse, die an die Macht gekommen ist." ## Einordnung Diese Podcastfolge zeigt sich als durchdachte historische Analyse, die komplexe Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichem Wandel und individueller Identität aufarbeitet. Reese präsentiert seine These von der ideologischen Überhöhung der Arbeit in der DDR schlüssig und untermauert sie mit historischen Kontexten. Besonders bemerkenswert ist, wie er die psychologischen Folgen des Systemwechsels für Ostdeutsche herausarbeitet – ohne dabei in Ostalgie zu verfallen. Der Beitrag gelingt das Kunststück, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren zusammenzudenken: Die These, dass Menschen nicht nur ihren Job, sondern ihren gesellschaftlichen Sinn verloren, wird überzeugend präsentiert. Die Analyse der unterschiedlichen Gewerkschaftstraditionen in Ost und West bietet wertvolle Erklärungsansätze für heutige Unterschiede. Der journalistische Ansatz des Features überzeugt durch historische Tiefe ohne akademische Sprache – ein gelungener Beitrag zum Verständnis ostdeutscher Mentalitäten und deren historische Wurzeln.