IndieWire's Filmmaker Toolkit: 'The Pitt' Creator R. Scott Gemmill
Der Showrunner von "The Pitt" erklärt die radikale Authentizitätsstrategie hinter der HBO-Medical-Serie.
IndieWire's Filmmaker Toolkit
45 min read2547 min audioIn dieser Folge des "Filmmaker Toolkit" spricht Chris Fall mit R. Scott Gemmill, dem Showrunner von "The Pitt", über die Entstehung der HBO-Medical-Serie. Gemmill erklärt, dass die Serie sich von klassischen Krankenhaus-Shows durch ihre radikale Authentizität unterscheide: 15 Episoden decken exakt 15 Stunden in einer Notaufnahme ab. Dafür arbeiteten vier Ärzt:innen und zwei weitere Mediziner:innen im Writer's Room sowie am Set, um jede Handlung medizinisch korrekt umzusetzen. Die Schauspieler:innen absolvierten ein zweiwöchiges Bootcamp, lernten Intubation und Thoraxdrainage, und das Set wurde vor dem Drehbuch entworfen, um die reale Raumlogik perfekt nachzubilden. Die Serie verzichte bewusst auf Musik und nutze stattdessen das reale Klinik-Geräusch, um die Immersion zu erhöhen. Gemmill betont, dass die medizinischen Fälle nie im Zentrum stünden – vielmehr würden zuerst emotionale Figurenbedürfnisse entwickelt und dann passende Krankheitsfälle recherchiert. Die zweite Staffel starte im Januar 2025 und setze die hybride Struktur aus Streaming- und Network-Elementen fort.
### 1 Die medizinische Authentizität sei das zentrale Gestaltungsprinzip
Gemmill erklärt: "We really wanted to do it really as well as we could, as authentic as we could." Anders als bei anderen Shows sei hier die Medizin kein bloßer Hintergrund, sondern Kernbestandteil der Erzählung. Die Ärzt:innen choreografieren Szenen vorab, bis jede Geste stimmt.
### 2 Die 15-Stunden-Echtzeitstruktur erzwinge neue Dramaturgie
"We had 15 hours for our characters to get to know each other", sagt Gemmill. Die strikte Echtzeit bedeute, dass klassische Figurenbögen umgeschrieben werden müssten. Statt Wochen hätten die Charaktere nur Stunden, um Beziehungen aufzubauen.
### 3 Die Serie positioniere sich bewusst gegen Desinformation
Mit Blick auf die Pandemie erklärt Gemmill: "We have a real responsibility to counter all the disinformation." Die Plattform werde genutzt, um medizinische Fakten zu vermitteln – etwa bei der Darstellung der Boarding-Krise in US-Notaufnahmen.
### 4 Das Casting folge einem radikalen Neuanfang
"We really wanted to do a new show", betont Gemmill. Statt bekannter Gesichter würden neue Talente aus aller Welt gesucht, um eine frische Identität zu schaffen. Die Crew trage alle Scrubs, um bei 360-Grad-Dreharbeiten unsichtbar zu bleiben.
### 5 Die Balance zwischen Realismus und Zuschauer:innenkomfort sei eine Gruppenentscheidung
"We cut down a few shots [...] we thought we'd hit that line", erklärt Gemmill. Bei zu expliziten Szenen entscheide das Team gemeinsam, wann Authentizität in Gratuität umschlägt.
## Einordnung
Das Gespräch wirkt wie ein PR-Text in Podcast-Form: wohl dosiert, hochprofessionell und ohne kritische Gegenfragen. Fall stellt keine Nachfragen zu ethischen Fragen der Realitätsnähe bei traumatischen Ereignissen wie Mass Shootings, fragt nicht nach Arbeitsbedingungen der medizinischen Berater:innen und hinterfragt nicht, warum die Serie trotz ihrer Authentizitätsversprechen bestimmte Machtverhältnisse im Gesundheitssystem nicht thematisiert. Die medizinische Fachkompetenz wird zur Alleinstellungsmarke stilisiert, ohne dass die strukturellen Probleme des US-Gesundheitssystems wirklich kritisch beleuchtet würden. Die Serie erscheint als perfekt kalkuliertes Produkt, das mit dem Anspruch auf Realismus gleichzeitig die Grenzen dessen markiert, was das Publikum erträgt – ein Balanceakt, der hier als Meisterleistung gefeiert wird. Die fehlende Perspektive von Pflegekräften oder Patient:innen ohne Versicherung zeigt, dass die Authentizität selektiv bleibt und vor allem dem dramaturgischen Ziel dient: eine neue, aber letztlich kommerzielle Krankenhausserie zu erschaffen.
Hörempfehlung: Für alle, die wissen wollen, wie man eine medizinische Serie mit maximalem Realitätsanspruch produziert – aber ohne kritische Reflexion über die dargestellten Machtverhältnisse.