Politics Weekly America: When did the US supreme court become so ‘lawless’?
Juraprofessorin Leah Litman analysiert im Guardian-Podcast mit Jonathan Freedland die zunehmende Parteilichkeit des US Supreme Court und ihre Folgen für Demokratie und Wahlrecht.
Politics Weekly America
17 min read1622 min audioJonathan Freedland spricht mit der Juraprofessorin Leah Litman über den neuen Termin des US Supreme Court und warum die einst als überparteilich geltende Institution zunehmend als politisches Machtinstrument wahrgenommen wird. Litman erklärt, dass sich das Gericht durch die konservative Mehrheit (u.a. drei Trump-ernannte Richter:innen) stark nach rechts bewegt habe. Die Richter:innen folgten dem Originalismus – also der Interpretation der Verfassung nach historischem Wortlaut – was tendenziell zu konservativen Urteilen führe. Zentrale Verfahren der neuen Session beträfen den Voting Rights Act, die „Independent State Legislature“-Theorie sowie zahlreiche weitere politisch brisante Fragen. Ein besonderes Problem sei der „shadow docket“, über den das Gericht immer wieder ohne ausführliche Begründung weitreichende Beschlüsse fasse. Diese Entwicklungen untergräben demokratische Teilhabe und die Legitimität des Gerichts, so Litman. Gegensteuern ließen sich nur durch strukturelle Reformen wie Richter:innen-Term Limits, die Erweiterung der Richter:innenzahl oder verschärfte Ethikregeln, wofür allerdings der Kongress zuständig wäre.
### 1. Konservative Mehrheit formiert sich offen ideologisch
Die derzeitige 6-3-Konservative Mehrheit treibe eine eindeutig parteipolitische Agenda, die sich besonders in Urteilen zu Abtreibung, Wahlrecht und Umwelt zeige. Litman: "The majority of the court is enacting a particular political agenda that aligns with the Republican Party."
### 2. Originalismus als Vehikel für konservative Werte
Die Theorie, die Verfassung nach ihrem historischen Verständnis auszulegen, führe regelmäßig zu rückwärtsgewandten Entscheidungen, weil sie die Werte weißer männlicher Verfasser des 18. Jahrhunderts kodifiziere. Litman: "If you interpret the Constitution according to what it meant to them, you're going to get very different results than if you interpret it according to what it means today."
### 3. Voting Rights Act wird weiter ausgehöhlt
Ein laufendes Verfahren könne den ohnehin bereits geschwächten Wahlrechtsakt weiter abschwächen, indem der Beweis von Diskriminierung deutlich schwerer werde. Dies gefährde insbesondere die Stimmrechte von Minderheiten.
### 4. Independent-State-Legislative-Theorie als Machttransfer
Akzeptiere das Gericht die Theorie, dürften Bundeswahlgesetze ausschließlich durch Parteien-Parlamente ohne richterliche Kontrolle gemacht werden. Litman warnt vor einem Szenario, wonach Legislaturen Präsidentschaftswahlergebnisse ignorieren könnten.
### 5. Shadow Docket schafft Rechtsprechung ohne Transparenz
Über den Notfallkalender entscheide das Gericht zunehmend wichtige Fälle ohne mündliche Verhandlung oder schriftliche Begründung. Dadurch entziehe es sich dem normalen demokratischen Kontrollmechanismen.
## Einordnung
Die Episode zeigt journalistisches Format auf höchstem Niveau. Freedland führt präzise durch komplexe juristische Fragen, erklärt Begriffe wie Originalismus oder Shadow Docket für Laien und lässt seiner Expertin ausreichend Platz, differenziert Argumente zu liefern. Litmans Aussagen werden durch konkrete Beispiele und historische Vergleiche gestützt, nie bleiben Behauptungen unbelegt. Der Fokus liegt durchgehend auf Analyse der Entscheidungsstrukturen des Gerichts, nicht auf parteipolitischem Fingerzeigen. Besonders positiv: Der Moderator hinterfragt auch provokante Thesen (z.B. ob das Gericht eine Agenda fahre) und fordert so argumentative Präzision. Kritische Gegenstimmen sind zwar nicht eingebunden, aber angesichts des Faktums, dass es sich um eine juristische Fachanalyse handelt, nicht zwingend notwendig. Alles in allem eine informative, sorgfältig recherchierte Folge, die Zuhörer:innen mit klaren Erklärungen und ohne Alarmismus durch ein kompliziertes Thema führt.
Hörempfehlung: Wer die US-Politik verstehen will, sollte diese klar strukturierte Analyse des Supreme Court nicht verpassen.