Das Politikteil: "Das ist eine menschengemachte Hungersnot"

Investigative ZEIT-Journalisten enthüllen die humanitäre Katastrophe in Gaza und warum internationale Hilfe scheitert.

Das Politikteil
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Der Politik-Podcast "Das Politikteil" der ZEIT diskutiert in dieser 90-minütigen Folge die humanitäre Katastrophe in Gaza nach 19 Monaten Krieg. Die Moderator:innen Tina Hildebrandt und Heinrich Wefing sprechen mit den ZEIT-Experten Yassin Musharbash (stellvertretender Leiter Investigativressort) und Jörg Lau (außenpolitischer Korrespondent), die beide ausführlich vor Ort recherchiert haben. Die zentrale Frage: Wie kann die internationale Gemeinschaft angesichts einer sich entwickelnden Hungersnot reagieren, während die israelische Regierung die humanitäre Lage weiterhin leugnet? ### Die Hungersnot in Gaza sei bereits Realität Musharbash berichtet aus Gesprächen mit Menschen in Gaza: "Alle Menschen, mit denen ich in den letzten dreieinhalb Tagen gesprochen habe, sind froh, wenn sie eine Mahlzeit am Tag haben." Die humanitäre Lage sei katastrophal, die Verteilung von Hilfsgütern funktioniere nicht - weder durch die Gaza Humanitarian Foundation noch durch neue Systeme. Trotz angekündigter Hilfslieferungen würden Lastwagen "unterwegs angehalten und ausgeplündert". ### Die israelische Regierung leugne systematisch die humanitäre Krise Netanyahu habe öffentlich erklärt: "Es gibt keinen Hunger in Gaza." Diese Leugnung sei politisch motiviert, um Kriegsverbrechen zu vermeiden. Die Blockade-Politik Israels werde zwar offiziell als Sicherheitsmaßnahme dargestellt, faktisch aber führe sie zu einer "menschengemachten Hungersnot", für die Israel die Hauptverantwortung trage. ### Die deutsche Luftbrücke sei ineffizient und gefährlich Die von der Bundesregierung angekündigte Luftbrücke werde von Experten als "Gest[e] der Hilflosigkeit" kritisiert. Lau beschreibt die A400M-Flüge als ineffizient: "In so ein Flugzeug passt gar nicht so viel rein, wie man vielleicht denken würde." Zudem seien Airdrops gefährlich für die Zivilbevölkerung und lösten die grundlegende Verteilungsproblematik nicht. ### Die deutsche Staatsräson-Doktrin habe sich als inhaltsleer erwiesen Beide Experten fordern, den Begriff der "Staatsräson" aus der Debatte zu verbannen. Lau argumentiert: "Es gibt überhaupt keine Orientierung mehr. Was heißt das, dass wir uns der Sicherheit Israel verbunden fühlen? Heißt das, dass wir alles gutheißen müssen, was diese Regierung tut?" Die deutsche Regierung befinde sich in einem Dilemma zwischen historischer Verbundenheit und wachsender Kritik an Israels Vorgehen. ### Die Zwei-Staaten-Lösung sei politisch tot, aber alternativlos Trotz der offensichtlichen Scheiterns der Zwei-Staaten-Lösung sei keine realistische Alternative in Sicht. Die Experten betonen, dass die aktuelle Politik der israelischen Regierung auf eine Annexion der Westbank hinauslaufe, während die palästinensische Autonomiebehörde ihre Kontrolle verliere. ## Einordnung Diese Podcast-Folge zeigt die Stärken des investigativen Journalismus der ZEIT: fundierte Recherche, differenzierte Analyse und klare Benennung von Verantwortlichkeiten. Die Moderator:innen geben ihren Expert:innen ausreichend Raum für detaillierte Schilderungen aus Gaza, ohne sich in parteipolitischer Polemik zu verlieren. Besonders bemerkenswert ist die Offenheit, mit der die eigenen Wissenslücken (z.B. bei der genauen Zahl der noch lebenden Geiseln) eingeräumt werden. Die Diskussion um die deutsche Position ist nuanciert: Während die historische Verantwortung anerkannt wird, wird die Leerformel der "Staatsräson" konsequent dekonstruiert. Die Analyse der Machtverhältnisse - zwischen Israel, arabischen Staaten und internationalen Akteuren - vermeidet simple Schwarz-Weiß-Malerei. Die Kritik an der israelischen Regierung bleibt sachlich und bezieht sich auf konkrete Politik, nicht auf Israel als Staat. Die Folge liefert keine einfachen Lösungen, sondern macht die Komplexität des Konflikts nachvollziehbar - eine journalistische Leistung, die selten genug ist in der oft polarisierten Debatte über Nahost.