Im Cicero-Podcast diskutieren Wirtschaftsressortleiter Carsten Korfmacher und Stefan Kooths, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, ob Deutschland Argentiniens Präsident Javier Milei als Vorbild für eine radikale Reduktion von Bürokratie und Staatsinterventionen nehmen sollte. Kooths sieht in Mileis Kahlschlag-Strategie eine konsequente Reaktion auf die argentinische Schulden- und Inflationskrise, rät Deutschland jedoch zu einer moderaten Staatsdiät, um Wachstum und individuelle Freiheit zu stärken. ### T1: Argentiniens Notlage rechtfertige radikale Liberalisierung Kooths erklärt, Mileis „Kettensäge“ gegen den Staat entstehe aus „absoluter Not“: "Das Land ist reich an Rohstoffen, hat gut ausgebildete Menschen. Und trotzdem ist es immer wieder in katastrophale wirtschaftliche Zustände abgerutscht." Nur ein Kahlschlag ermögliche es der Notenbank, künftig keine Staatsschulden mehr per Gelddrucken zu finanzieren. ### T2: Kurzfristige Preisschocks seien unvermeidlich Subventionsstreichungen führten zu vierfachen ÖPNV-Fahrpreisen und teurerem Benzin. Kooths nennt das „First-Round-Effekt“: „Das ist ein harter Einschnitt für die Konsumenten. Aber in der mittelfristigen Perspektive … dann sinken die Inflationsraten." ### T3: Deutschland habe sich in 50 Jahren „verregelt“ Seit 1970 habe sich die Zahl der Gesetze mehr als verfünffacht, die der Verordnungen mehr als verzehnfacht, der öffentliche Dienst sich verdoppelt. „Wir haben immer mehr Staat … der wirkt wie ein Klotz am Bein der Wirtschaft und erstickt die Eigeninitiative der Bürger." ### T4: Fachkräftemangel liege auch an überdimensioniertem Staat Viele qualifizierte Arbeitskräfte sitzen laut Kooths im öffentlichen Dienst, könnten aber in der Privatwirtschaft produktiver sein. Eine Personalreduzierung könne daher den Fachkräftemangel lindern. ### T5: Deutschem „Milei-Lite“ stünden parlamentäre Grenzen Anders als der argentinische Präsident verfüge eine deutsche Regierung über keine Notstandsmacht, sondern sei auf Koalitionen und Vetospieler angewiesen. Ein Abbau von Subventionen und Behördenpersonal müsse deshalb schrittweise und mit breitem Konsens erfolgen. ## Einordnung Die Sendung präsentiert sich als nüchterne Wirtschaftsanalyse, bleibt aber in der Argumentation eindimensional: Der Staat gilt pauschal als Wachstumsbremse, während soziale Funktionen und Verteilungswirkungen kaum thematisiert werden. Kooths zitiert selektiv Statistiken, ohne Quellen oder differenzierte Gegenrechnungen zu liefern; etwa fehlt die Frage, ob nicht auch private Monopole und externe Effekte Marktversagen erzeugen können. Die Sozialkosten von Mileis Subventionskürzungen – steigende Armut, Proteste – werden als „notwendiger Schmerz“ abgetan; alternative Wege aus der Inflation (z. B. verhandelte Lohn-Preis-Abkommen) werden nicht erwogen. Kritische Stimmen aus Argentinien oder deutsche Gewerkschaften, Sozialverbände und Umweltorganisationen kommen nicht zu Wort; stattdessen wird eine neoliberale Wirtschaftsweise als alternativlos inszeniert. Die Perspektive des Commons oder nachhaltiger Staatsaufgaben fehlt ebenso wie die Erkenntnis, dass viele „Bürokratie“-Vorgaben (Klimaschutz, Verbraucherschutz) gesellschaftlich erkämpfte Schutzstandards sind. Insgesamt dient der Podcast eher als intellektuelle Rechtfertigung für Entregulierungswünsche der Wirtschaftseliten als als pluralistische Auseinandersetzung.