In dieser Folge von "Psychologie To Go" erklärt die psychologische Psychotherapeutin Franca Cerutti, warum Menschen sich selbst oft anders wahrnehmen als ihre Mitmenschen. Sie stellt das Johari-Fenster-Modell vor, das Selbst- und Fremdbild in vier Felder unterteilt: öffentliche Person, Geheimnis, blinder Fleck und unbekannter Bereich. Cerutti beschreibt kognitive Verzerrungen wie den Spotlight-Effekt, positive Illusionen und den Halo-Effekt, die zu Diskrepanzen zwischen Selbst- und Fremdbild führen. Sie erklärt, dass selektive Wahrnehmung und kognitive Dissonanz diese Unterschiede verstärken. Die positiven Illusionen, die meisten Menschen hätten – sich selbst als besser, klüger und attraktiver einzuschätzen als durchschnittlich – seien zwar psychologisch schützend, könnten aber auch Selbstreflexion hemmen. Cerutti gibt praktische Strategien an, Selbst- und Fremdbild besser in Einklang zu bringen: ehrliches Feedback einholen, Selbstbeobachtung, Reflexion, Empathieübung und Offenheit für Veränderung. ### 1: Der blinde Fleck zeigt, was andere an uns sehen, wir aber nicht wahrnehmen Cerutti erklärt, der blinde Fleck umfasse Mimik, Gestik, Eigenarten und Stärken, die anderen sofort auffielen, einem selbst aber verborgen blieben. Als Beispiel erzählt sie von einer Freundin, die ihr mitteilte, sie ziehe ständig die Nase hoch – eine Geste, die ihr selbst unbewusst war, bis sie sich auf Video dabei sah. Diese blinden Flecken ließen sich nur durch Fremdfeedback entdecken. ### 2: Positive Illusionen schützen, verhindern aber echte Selbsteinsicht Die Forschung von Shelley Taylor und Jonathan Brown zeige, dass Menschen sich selbst systematisch überschätzten: "Wir neigen dazu, uns selbst als besser, klüger und attraktiver einzuschätzen, als wir wirklich sind." Diese positiven Illusionen steigerten Wohlbefinden und Motivation, könnten aber auch verhindern, dass Menschen an ihren Schwächen arbeiten. ### 3: Der Spotlight-Effekt lässt Menschen glauben, ständig im Mittelpunkt zu stehen Cerutti illustriert dies mit dem Beispiel, auf einer Party mit offenem Hosenstall herumzulaufen. Die meisten seien das gar nicht bemerkt oder es ihnen egal gewesen. Der Spotlight-Effekt beschreibe die Tendenz, "unsere eigene Bedeutung und unseren eigenen Einfluss auf andere zu überschätzen" – was meist nicht der Realität entspreche. ### 4: Kognitive Dissonanz verhindert, unangenehme Fremdwahrnehmungen anzunehmen Wenn Selbstbild und Fremdbild kollidieren, versuchten Menschen, diese Diskrepanz durch Verzerrung der Wahrnehmung zu reduzieren. Wer sich selbst als hilfsbereit sehe, aber von anderen als egoistisch wahrgenommen werde, ignoriere oder reinterpretiere dieses Feedback, um das eigene Selbstbild nicht gefährden zu müssen. ### 5: Vier praktische Strategien zur Selbstharmonisierung Cerutti empfiehlt: 1) Ehrliches Feedback von Vertrauten einholen, 2) Selbstbeobachtung durch Fragen wie "Wie reagiere ich unter Stress?", 3) Regelmäßige Reflexion über eigene Werte und Motivation, 4) Sich in andere hineinversetzen, um deren Perspektive auf sich selbst zu verstehen. Wichtig sei auch Offenheit für Veränderung, da sich Selbstbilder nicht statisch seien. ## Einordnung Franca Cerutti präsentiert psychologische Konzepte in einem leicht verständlichen, unterhaltsamen Format, das sich klar an ein Laienpublikum richtet. Die Mischung aus wissenschaftlichen Modellen, Alltagsbeispielen und praktischen Tipps ist didaktisch geschickt aufbereitet, auch wenn komplexe psychologische Phänomene teilweise vereinfacht dargestellt werden. Besonders positiv: Sie betont wiederholt, dass ihre Ausführungen keine Therapieersatz seien und verweist bei Bedarf auf professionelle Hilfe. Kritisch anzumerken ist, dass Forschungsergebnisse wie die positiven Illusionen ohne Nuancen als universell gültig präsentiert werden, obwohl die Studien vor allem US-amerikanische Proband:innen umfassten. Die individualistische Perspektive – Selbstoptimierung als Lösung für Wahrnehmungsprobleme – bleibt unhinterfragt, soziale Strukturen, die zu Diskrepanzen beitragen könnten, werden ausgeblendet. Insgesamt liefert die Folge einen guten Einstieg in ein spannendes Thema, der Lust auf weitere Auseinandersetzung macht.