Der Tag: Hungersnot in Gaza - Begeht Israel Kriegsverbrechen?
Klare Analyse der israelischen Politik und ihrer globalen Folgen.
Der Tag
45 min read1907 min audioDer Deutschlandfunk-Podcast "Der Tag" vom 22. August 2025 beleuchtet Israels Vorgehen im Gazastreifen und in der Westbank. Moderator Philipp Mai spricht mit Korrespondent Jan Christoph Kitzler in Tel Aviv über die von der IPC bestätigte Hungersnot im Norden Gazas und die israelische Zurückweisung dieser Einschätzung. Kitzler berichtet, dass Israel systematisch Hilfslieferungen blockiere und Hunger als Kriegswaffe einsetze. Die israelische Regierung argumentiere, die Daten basierten auf Hamas-Propaganda. Gleichzeitig dehne Israel den Krieg aus und bereite eine neue Offensive auf Gaza-Stadt vor. Die Siedlungspolitik in der Westbank, insbesondere das Projekt E1, zerschneide laut Kitzler das Westjordanland und mache eine Zwei-Staaten-Lösung unmöglich. In Deutschland analysiert Korrespondent Stefan Detjen die verhaltene Reaktion der Bundesregierung auf die IPC-Berichte und die wachsende Kritik an Israels Politik. Bundeskanzler Friedrich Merz habe sich zuletzt von der bedingungslosen Solidarität distanziert, was auf Druck aus Europa und der deutschen Bevölkerung zurückzuführen sei. Die Union sei gespalten, wobei die CSU weiterhin auf uneingeschränkte Unterstützung Israels bestehe.
### Hungersnot in Nordgaza als Kriegsverbrechen
Die IPC habe für Nordgaza eine Hungersnot festgestellt, die Israel durch systematische Blockade von Hilfslieferungen verursache. Kitzler zitiert den UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher: "It is a famine that we could have prevented." Israel weise diese Einschätzung zurück und behaupte, die Daten stammten von der Hamas.
### Siedlungspolitik als strategisches Projekt zur Verhinderung eines palästinensischen Staates
Die Genehmigung des Siedlungsprojekts E1 bedeute eine Zerschneidung des Westjordanlandes in Nord- und Südteile. Dies mache eine zusammenhängende palästinensische Staatsgebiet unmöglich. Kitzler: "Damit wird dann halt auch eine Voraussetzung für einen palästinensischen Staat... quasi unmöglich gemacht."
### Expansion als langfristiges Ziel der israelischen Regierung
Politiker aus dem Netanjahu-Lager sprächen offen von einem Gebiet "from the River to the Sea" als jüdischem Territorium. Die Sprache habe sich von "disputed territories" zu biblischen Begriffen wie "Judäa und Samaria" gewandelt, was eine Annexion signalisiere.
### Deutsche Debatte zwischen Realpolitik und moralischer Verpflichtung
Die Bundesregierung reagiere verhalten auf die IPC-Berichte. Merz habe Waffenlieferungen ausgesetzt, was auf europäischen Druck und veränderte Meinungsbilder in Deutschland zurückzufühhen sei. Die Union sei gespalten, wobei die CSU weiterhin auf uneingeschränkte Unterstützung bestehe.
### Zivilgesellschaft in Israel zwischen Protest und Machtlosigkeit
In Israel protestiere eine breite Zivilgesellschaft gegen die Regierung und den Krieg. Die Regierung reagiere jedoch nicht auf diese Mehrheitsmeinung und schwäche Kontrollmechanismen wie den Obersten Gerichtshof.
## Einordnung
Die Sendung präsentiert sich als sorgfältig recherchiertes journalistisches Format, das komplexe Zusammenhänge verständlich vermittelt. Die Moderatoren geben den Korrespondenten ausreichend Raum für differenzierte Analysen und vermeiden einseitige Positionierungen. Besonders bemerkenswert ist die klare Benennung von Kriegsverbrechen und die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Doppelmoral: während die Regierung sich rhetorisch für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt, blockiert sie gleichzeitig wirksame Sanktionen gegen die Siedlungspolitik. Die Diskussion um die Abhängigkeit Deutschlands von israelischer Sicherheitstechnologie offenbart eine heikle Interessenkonstellation, die moralische Kompromisse erzwingt. Die Sendung gelingt es, die Perspektive der betroffenen palästinensischen Zivilbevölkerung nicht auszublenden und die israelische Zivilgesellschaft als wichtigen Akteur darzustellen.