Hotel Matze: Martin Suter – Warum gehören Wut und Liebe zueinander?

Martin Suter im Gespräch über Trauer, Kontrolle und das Leben nach dem Verlust – live in Zürich.

Hotel Matze
110 min read5633 min audio
Matze Hielscher begrüßt den Bestsellerautor Martin Suter live in Zürich. Suter erzählt, dass er seine Romane nur schreibe, weil sie gelesen würden, und dass er in den letzten 20 Jahren Verluste erlebt habe, die er nie für möglich gehalten hätte – darunter der Tod seiner Frau und seines Sohnes. Er spreche offen darüber, dass man solche Erfahrungen nicht "überstehe", sondern damit leben lerne. Suter lebe seit Jahren alkoholfrei, nachdem er an einem Abend in der Kronenhalle einfach beschlossen habe, nie wieder zu trinken. Er erkläre, dass ihm Kontrolle wichtig sei, auch wenn er zugebe, dass es Momente gebe, in denen er sie verliere. Zudem äußere er sich kritisch über Reichtum, wenn dieser nicht mit Großzügigkeit einhergehe, und erzähle von seiner Freundschaft mit dem LSD-Forscher Albert Hofmann, der ihn für seine Beschreibungen von Bewusstseinszuständen gelobt habe – obwohl er selbst nie Drogen genommen habe. ### Schweizer Identität und Kontrolle Suter beschreibe sich selbst als typisch schweizerisch in seiner Liebe zur Ordnung und Kontrolle. Er erzähle, dass er bewusst in Zürich lebe, weil er die Stadt kenne und sie als Kulisse für seine Romane nutzen könne. Die Schweizer seien zwar freundlich, aber auch sehr kontrolliert – was er als Ausgleich zu seiner eigenen Lebensweise sehe. ### Trauer als Teil des Lebens Ein zentraler Moment sei die Auseinandersetzung mit dem Tod seiner Frau. Suter betone, dass Trauer keine "Arbeit" sei, die abgeschlossen werden könne. Vielmehr bleibe die Liebe bestehen, auch wenn die Person nicht mehr da sei. Er lehne es ab, über seine Trauer zu schweigen – sie sei Teil seines Lebens und seiner Literatur. ### Alkohol und Kontrolle Suter erzähle, dass er seit einem konkreten Tag in der Kronenhalle keinen Alkohol mehr trinke. Der Entschluss sei nicht als Verzicht, sondern als Befreiung vom Thema empfunden worden. Er empfehle, sich einfach zu sagen: „Nie mehr“, statt sich täglich neu daran zu erinnern. ### Reichtum und Verantwortung Suter kritisiere geizige Reiche und betone, dass Reichtum mit Verantwortung verbunden sei. Wer viel verdienen würde, müsse auch viel ausgeben – sonst funktioniere die Wirtschaft nicht. Dies sei keine moralische Pflicht, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. ### Liebe, Wahrheit und Geheimnisse Suter erkläre, dass Liebe und Kunst eng verbunden seien – beide beruhten auf Wut und Zärtlichkeit. Er distanziere sich von der Forderung nach absoluter Wahrheit. Manchmal sei eine Lüge ein Akt der Liebe, und nicht jede Wahrheit sei erträglich. ## Einordnung Das Gespräch ist ein feinfühliges, persönliches Porträt, das weit über ein typisches Autoreninterview hinausgeht. Matze Hielscher gelingt es, Martin Suter in einer Atmosphäre des Vertrauens über Verlust, Kontrolle und Identität sprechen zu lassen – ohne voyeuristisch zu wirken. Die Gesprächsführung ist warm, aber nicht oberflächlich: Hielscher stellt nach, wo es nötig ist, lässt aber auch Raum für Schweigen und Assoziation. Die Live-Situation wird sinnvoll genutzt: Das Publikum wird eingebunden, ohne dass der Fokus auf Show verloren geht. Kritisch anzumerken ist, dass die Klischees über Deutsche und Schweizer zwar humorvoll eingeführt, aber nicht weiter hinterfragt werden – sie dienen eher der Unterhaltung als der Reflexion. Insgesamt ein stimmiges, berührendes Gespräch, das Mut macht, über Trauer und Veränderung zu sprechen – und das trotz schwerer Themen nie belehrend wirkt. Hörwarnung: Wer emotionale Offenheit und persönliche Trauer nicht ertragen kann, sollte vorsichtig sein – für alle anderen ist diese Folge ein echter Gewinn.