Hintergrund: Betreuung - Häusliche Pflege birgt große Belastung und rechtliche Grauzone
Investigative Doku über prekäre 24-Stunden-Haushaltspflege durch osteuropäische Betreuerinnen, rechte Grauzonen und politische Reformpläne.
Hintergrund
21 min read1130 min audioDer Deutschlandfunk-Hintergrund-Beitrag "Häusliche Pflege, große Belastung, rechtliche Grauzonen" begleitet polnische 24-Stunden-Betreuerin Marta Kolchinska und beleuchtet das prekäre System der osteuropäischen Live-in-Pflege. Reporter Manfred Götzke zeigt drei Beschäftigungsmodelle: Entsendung mit Heimat-Mindestlohn, Arbeitgebermodell (Direktanstellung durch Familien) und Selbstständigkeit. Bernadette Petö (DGB/Faire Mobilität) berichtet von exzessiven Arbeitszeiten, häufig 24-Stunden-Bereitschaft, Isolation und fehlender Sozialversicherung. Philipp Buhr (Vermittlungsplattform Marta) wirbt für Selbstständigkeit ohne Zwischenhändler, Pflegebeauftragte Kathrin Staffler (CSU) fordert Rechtssicherheit und favorisiert Direktanstellung. Die Diakonie-Initiative FairCare beweist, dass faire Anstellung nach deutschem Arbeitsrecht bezahlbar ist – wenn Vermittlung gemeinnützig erfolgt.
### 1. Gängige 24-Stunden-Betreuung steht oft außerhalb des Arbeitsrechts
Etliche Betreuerinnen arbeiten an sechs oder sieben Tagen pro Woche rund um die Uhr, stünden per Babyphone jederzeit zur Verfügung und erhielten weder Überstundenlohn noch Urlaub. Petö: „Die Arbeitsbedingungen in der Branche ... sind oft sehr extrem belastend und auch prekär.“
### 2. Meiste Geld bleibt bei Vermittlungsagenturen hängen
Zwischen Familie und Betreuerin schalten sich bis zu drei Agenturen, die laut Buhr 50-70 % der von Familien gezahlten 2 500-3 000 € einbehielten. Die Pflegekraft bleibe mit einem Bruchteil allein, während die Agenturen „kein Risiko“ trügen.
### 3. Bundesregierung plant Direktanstellung statt Selbstständigkeit
Staffler erklärt: „Rechtssicherheit gibt derzeit am besten das Anstellungsmodell ... Wir werden sicher auch Leistungen der Pflegeversicherung für solche Settings verfügbar machen.“ Rechtssichere Rahmenbedingungen sollen noch 2025 vorgelegt werden.
### 4. Gerichte urteilen häufig über Scheinselbstständigkeit
Mehrere Arbeitsgerichte hätten Betreuerinnen als formal selbstständig, faktisch aber arbeitnehmerähnlich eingestuft. Nach einem Bundesarbeitsgerichts-Urteil von 2021 müssten Bereitschaftszeiten als Arbeitszeit vergütet werden – ein Präzedenzfall.
### 5. FairCare zeigt: faire Anstellung ist möglich
Die Diakonie zahlt in ihrem Projekt 970 € netto monatlich, auch in den Erholungsmonaten, und erstelle Arbeitsverträge mit festen Zeiten, Urlaub und Sozialversicherung. Die Kosten blieben für Familien bezahlbar, weil die Vermittlung nur kostendeckend arbeite.
## Einordnung
Der Beitrag arbeitet das Spannungsfeld zwischen prekärer Praxis und politischem Handlungsbedarf strukturiert heraus. Götzke weicht aufklärenden Fragen nach, lässt alle relevanten Akteur:innen zu Wort kommen und spart nicht mit detailreichen Alltagszeugnissen der Betreuerinnen. Besonders stark: die klare Trennung von Werbeversprechen („24-Stunden-Pflege“) und rechtlicher Realität, das Aufdecken hoher Vermittlungsmargen sowie die differenzierte Darstellung verschiedener Beschäftigungsmodelle. Die Reportage zeigt, dass Selbstständigkeit oft ein Konstrukt zur Umgehung von Mindestlohn und Sozialabgaben ist, ohne die Betreuer:innen pauschal als Opfer zu inszenieren. Kritisch bleibt, dass Schwarzarbeit nur am Rande erwähnt und die Perspektive pflegebedürftiger Menschen mit geringem Einkommen kaum eingebracht wird; ebenso fehlt ein Blick auf Alternativen wie bedarfsdeckende Kommunalpflege. Insgesamt liefert der Podcast eine investigative und für Betroffene sowie Politik hochrelevante Bestandsaufnahme.
Hörempfehlung: Unbedingt anhören, wer verstehen will, warum 24-Stunden-Haushaltspflege oft auf Kosten der osteuropäischen Betreuerinnen funktioniert und welche Reformen jetzt anstehen.