Sternstunde Philosophie: Die Macht der Gefühle – von Angst bis Zorn

Ein tiefgründiges Gespräch über die Macht der Gefühle in Zeiten von Klimakrise, Populismus und KI-Beziehungen.

Sternstunde Philosophie
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Die Sternstunde Philosophie widmet sich in dieser Folge der Macht der Gefühle. Moderator Yves Bossart spricht mit dem Berliner Philosophieprofessor Dominik Perler über die Frage, wie Emotionen unser Denken und Handeln steuern. Perler betont, dass Gefühle weder rein körperliche Reaktionen noch bloße Meinungen seien, sondern eine eigenständige Kategorie darstellten, die Kognition und Körperlichkeit verbinde. Er plädiert für eine bewusste Auseinandersetzung mit den eigenen Emotionen und warnt davor, sich von ihnen überwältigen zu lassen. Besonders interessant sei die historische Perspektive: Was in der Antike als tapferer Zorn galt, gelte heute als problematisch. Die Gefahr bestehe darin, dass Emotionen gezielt von Politik und Wirtschaft instrumentalisiert würden. Ein besonders brisanter Aspekt sei die zunehmende emotionale Bindung an KI-Avatare, die Einsamkeit zwar kurzfristig lindere, langfristig aber soziale Isolation verstärke. ### 1. Gefühle seien keine reinen Instinkte, sondern kulturell geprägte Bewertungen Perler betont: "Gefühle sind eben nicht etwas ganz natürliches, das unabhängig ist von irgendwelchen sozialen oder historischen Kontexten." Die gleiche Angst vor Schlangen habe früher Überleben gesichert, heute sei sie oft irrational. ### 2. Andere erkennen unsere Gefühle manchmal besser als wir selbst Der Philosoph widerspricht der Vorstellung von der "Autorität der ersten Person": "Ich selber weiß genau, was ich für Gefühle habe... das stimmt nur bis zu einem bestimmten Grad." ### 3. Emotionen verraten verdeckte Werturteile Perler erklärt: "Emotionen verraten mindestens zwei Dinge... unsere Werthaltungen. Das heißt, was schätze ich eigentlich?" Dabei würden oft unbewusste Vorurteile sichtbar. ### 4. Die Ohnmacit gegenüber globalen Krisen lasse sich durch lokales Handeln überwinden Als konkrete Strategie empfiehlt Perler: "Ich kann nicht die ganze Welt verändern, aber ich kann in meinem kleinen Bereich etwas verändern." Er selbst verzichte seit 15 Jahren auf ein eigenes Auto. ### 5. Politische Wut müsse ernst genommen, aber differenziert werden Bei der Frage nach Rechtspopulismus mahnt Perler an: "Es ist nicht angemessen, z.B. auf alle Personen mit Migrationshintergrund wütend zu sein, nur weil es einen konkreten Anlass gab dafür." ### 6. KI-basierte emotionale Beziehungen gefährden echte soziale Kontakte Zum Beispiel der Frau mit KI-Avatar sagt Perler besorgt: "Die Gefahr ist sehr groß, dass man sich noch mehr wie verkriecht und die sozialen Kontakte noch mehr vernachlässigt." ## Einordnung Die Sendung präsentiert sich als anspruchsvolles philosophisches Gespräch, das komplexe Zusammenhänge zwischen Emotion, Kognition und Gesellschaft durchleuchtet. Bossart führt souverän durch das Thema, stellt kritische Nachfragen und integriert geschickt aktuelle Beispiele von Klimakrise bis KI-Beziehungen. Besonders bemerkenswert ist die ausgewogene Darstellung: Während Perler die Notwendigkeit emotionaler Selbstreflexion betont, wird weder eine Verdrängung noch eine romantische Überhöhung von Gefühlen propagiert. Die Perspektive bleibt klar aufklärerisch - es geht um bewusste Auseinandersetzung statt um Esoterik oder Selbstoptimierung. Die kritische Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse und emotionaler Manipulation durch Politik und Wirtschaft hebt die Sendung über rein individuelle Betrachtungen hinaus. Die Einbeziehung historischer Kontexte und verschiedener philosophischer Positionen zeugt von journalistischer Gründlichkeit.