Die Dunkelkammer – Der Investigativ-Podcast: #233 Egisto Ott & Jan Marsalek: Eine Anklage & eine Enttarnung (mit Fabian Schmid)
Investigativ-Podcast über die Anklage gegen zwei österreichische Verfassungsschützer wegen Spionage für Russland im Auftrag von Jan Marsalek.
Die Dunkelkammer – Der Investigativ-Podcast
4111 min audioMichael Nikbakhsh und Fabian Schmid (STANDARD) rekonstruieren im österreichischen Investigativ-Podcast „Die Dunkelkammer“ die bislang unveröffentlichte Anklageschrift gegen zwei ehemalige Verfassungsschützer. Demnach sollen Egisto Ott und Martin Weiß jahrelang für den flüchtigen Wirecard-Manager Jan Marsalek recherchiert, geheime Polizeidaten weitergegeben und sogar Personendaten im Innenministerium manipuliert haben. Marsalek habe dafür Geld gezahlt und unter anderem einem libanesischen Anwalt russische Pässe über die Beamten nach Wien geliefert. Besonders brisant: Die Beschuldigten kannten laut Anklage schon früh Marsaleks Deckidentität „Alexander Nelidow“ in Moskau, obwohl dies der Öffentlichkeit erst 2023 durch internationale Recherchen auffiel. Die Anklage liegt dem Landgericht Wien seit Dezember 2023 vor, doch das Gericht lehnte die Erhebung mangels Zuständigkeit ab; ein endgültiger Prozessstand ist offen.
### 1. Behördliche Spionage für Jan Marsalek
Die Wiener Staatsanwaltschaft wirft den beiden suspendierten Verfassungsschützern vor, „sensible, eigentlich geheime Daten“ an Marsalek weitergegeben und dafür „eine sehr große Menge von Amtsmissbräuchen“ begangen zu haben. Marsalek habe die Aufträge erteilt und bezahlt; die Beamten hätten zudem „Personendaten von drei Personen im Polizeisystem geändert“.
### 2. Russische Pässe in Wien übergeben
Im Zentrum steht die Übergabe eines russischen Passes an den libanesischen Rechtsanwalt „Dr. S.“, den Marsalek angeblich für die Befreiung einer entführten Ex-Freundin in Syrien engagiert hatte. Die Verfassungsschützer sollen das Dokument in Wien ausgehändigt und „über das Polizeisystem die Daten des Dr. S. abgefragt“ haben.
### 3. Deckidentität „Alexander Nelidow“ lange bekannt
Laut Anklage wussten Ott und Weiß „jahrelang vorher“, dass Marsalek unter dem Decknamen „Alexander Nelidow“ in Moskau lebt. Diese Information wurde der Öffentlichkeit erst 2023 durch ein internationales Recherchekollektiv zugänglich gemacht.
### 4. Entführungs- und Abhöraffäre in Wien
2018 soll Marsalek eine Wiener Spezialeinheit eingesetzt haben, um seine Ex-Freundin aus einem Hotelzimmer zu befreien. Anschließend sei sie „von Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes abgehört“ worden. Die Befragung durch das BVT sei nicht dokumentiert worden – ein weiterer Vorwurf des Amtsmissbrauchs.
### 5. Verfahren stockt – Zuständigkeitsstreit
Die 200-seitige Anklageschrift ist derzeit nicht rechtswirksam. Das Landesgericht Wien wies sie im Februar 2024 zurück, weil es der Staatsanwaltschaft Wien die Zuständigkeit abspricht; das Oberlandesgericht muss nun entscheiden. Die Auswirkungen: kein Termin, keine Hauptverhandlung, unklarer Verbleib der Akten.
## Einordnung
Die Episode zeigt, wie akribisch zwei erfahrene Rechercheure eine komplexe Spionageaffäre entfalten. Nikbakhsh und Schmid bleiben dabei strikt anhand der ihnen zugespielten Anklageschrift, zitieren konkrete Vorwürfe und verweisen stets auf die fehlende Rechtskraft. Besonders wertvoll: Sie durchbrechen die Trennung zwischen Innenministerium, Nachrichtendienst und Justiz und machen deutlich, wie undurchsichtig österreichische Spionageverfahren sein können. Kritisch bleibt, dass kaum unabhängige Stimmen zu Wort kommen – weder Verteidiger:innen noch Expert:innen zur Behördenorganisation. Der Fokus liegt fast ausschließlich auf den Täterszenarien; systemische Fragen nach Kontrollmechanismen oder politischer Verantwortung bleiben weitgehend offen. Dennoch bietet die Sendung einen fundierten Einstieg in einen bisher kaum öffentlich diskutierten Fall, der möglicherweise weitreichende Konsequenzen für den Verfassungsschutz und die österreichische Sicherheitsarchitektur hat.