POLITICO Berlin Playbook: Machthaber: Alexander Lukaschenko
Journalistisch dichte Biografie über Alexander Lukaschenko, seine Verschwörungstheorien und die Frage, warum der Westen ihn trotz Sanktionen immer wieder braucht.
POLITICO Berlin Playbook
41 min read2561 min audioGordon Repinski (POLITICO) widmet sich in der Sonderfolge „Der Machthaber-Spezial – Alexander Lukaschenko“ dem belarussischen Präsidenten. Der Podcast ist journalistisch aufwendig produziert: mit Original-Ton-Ausschnitten, Archivmaterial und dramaturgischer Erzählstimme. Die Episode zeichnet Lukaschenkos Biographie vom sowjetischen Kolchos-Direktor zum „letzten Diktator Europas“ nach und erklärt dessen Überlebensstrategie aus Schaukelpolitik, Repression und vollständiger Abhängigkeit von Moskau.
### 1. Persönlichkeitsbild: „Der uneheliche Junge aus dem Dorf“
Lukaschenkos schwierige Kindheit ohne Vater präge seinen Misstrauen gegenüber der Welt, heißt es. Ein im Exil lebender Psychiater wird zitiert, demzufolge Ärzte in den 1980er-Jahren „eine mildere Form der Persönlichkeitsstörung“ diagnostiziert hätten. Das Narrativ des Außenseiters, der sich an allen rächt, durchzieht die Episode als psychologische Erklärung für spätere Machtpolitik.
### 2. Machtsicherung: Referenden, Geheimdienst, Todesstrafe
Schon zwei Jahre nach seinem ersten Wahlsieg 1994 habe Lukaschenko die Verfassung per manipuliertem Referendum geändert, das Parlament aufgelöst und unabhängige Medien beseitigt. 2004 sicherte sich Lukaschenko per weiterem Referendum die lebenslange Präsidentschaft. Die Episode präsentiert diesen Umbau als systematisches Abschneiden demokratischer Kontrollen.
### 3. Schaukelpolitik: „Öl gegen Küsse“
Lukaschenko überlebte Jahrzehnte, indem er zwischen Russland und dem Westen hin- und herpendelte. Russland lieferte billige Energie und Kredite (bis zu 20 % des BIP), Belarus im Gegenzug politische Loyalität und militärischen Puffer. In Phasen westlicher Sanktionen lasse Lukaschenko „reformbereit“ erscheinen, etwa 2014 durch das Minsker Format zur Ukraine-Krise, ohne innenpolitisch zu liberalisieren.
### 4. Bruch 2020: Frauenproteste und Folter
Die Wahl 2020 habe eine landesweite Bewegung um Swetlana Tichanowskaja und zwei weitere Frauen ausgelöst. Die Staatsmacht reagierte mit Massenverhaftungen, Folter in Gefängnissen und dem Abfangen eines Ryanair-Flugs zur Festnahme des Bloggers Raman Pratasevich. Die EU erkenne Lukaschenko seither nicht mehr als Präsidenten an; Putin stabilisiere ihn militärisch und finanziell.
### 5. Ausblick: Trump-Anruf und neue geopolitische Kalküle
Ein fiktives Szenario 2025 zeigt Donald Trump aus der Luft an Bord von Air Force One Lukaschenko anrufend, um im Ukrainekonflikt eine „Brücke zu Putin“ zu nutzen. Lukaschenko fordere dafür die Aufhebung westlicher Sanktionen. Der Podcast endet mit der Einschätzung, dass Lukaschenko durch diesen „Häutungsprozess“ seine Diktatur dauerhaft zementieren könne – diesmal mit US-Präsident als möglichem Partner.
## Einordnung
Die Sendung kombiniert politische Analyse mit Elementen eines True-Crime-Formats: dramatische Musik, Klangcollagen und psychologisierende Deutung („Persönlichkeitsstörung“, „Muttersohn-Problematik“). Das ist journalistisch unterhaltsam, wirkt aber gelegentlich wie eine Pathologisierung des Autokraten statt einer strukturellen Machtanalyse. Die Kritik an Lukaschenko ist eindeutig: Es gibt keine neutrale Berichterstattung über ihn, wohl aber archivarische Gründlichkeit. Die Episode thematisiert westliche Doppelmoral (Sanktionen vs. Nutzung als Vermittler), bleibt aber selbst in einer EU-zentrierten Perspektive, ohne belarussische Zivilgesellschaft ausführlich zu Wort kommen zu lassen. Die fiktive Trump-Sequenz am Ende ist ein stilistisches Mittel, das die reale Gefahr einer Normalisierung von Diktatoren durch westliche Politiker verdeutlicht – bleibt aber ein klar markiertes Zukunftsszenario. Insgesamt liefert der Podcast eine anschauliche, wenn auch stark durchkomponierte Warnung vor der fortgesetzten Macht des Mannes in Minsk.