Dissens: #316 Zone à défendre: Von der Verteidigung zum Angriff auf den Status quo
Eine einseitig begeisterte Auseinandersetzung mit der französischen ZAD-Bewegung als Modell für Ökokampf und radikale Demokratie.
Dissens
38 min read6141 min audioLukas Ondreka spricht mit Kilian Jörg und Michael Hirsch über ihr Buch "Durchlöchert den Status quo" und das französische Konzept der "Zone à défendre" (ZAD) – dauerhafte Besetzungen gegen ökozidale Großprojekte, die zugleich postkapitalistische Lebensweisen erproben. Die Gäste stellen die ZAD in Notre-Dame-des-Landes als radikales Experiment dar, das Protest mit praktischem Leben jenseits von Staat und Markt verbindet.
### Die ZAD als Labor einer anderen Welt
Die ZAD sei nicht bloß Protest, sondern ein Ort, auf dem „eine andere Welt im kleinen“ vorgelebt werde: Menschen errichteten eigene Infrastrukturen, backten Brot, studierten gemeinsam Recht und entschieden basisdemokratisch. Diese Alltagsutopie zeige, dass Post-Kapitalismus und Post-Staatlichkeit „funktionieren“.
### Erfolgsgeschichte Notre-Dame-des-Landes
Nach Jahrzehnten Widerstand gegen einen geplanten Flughafen habe die Besetzung 2018 mit massiver Gegenwehr die Räumung verhindert; die Regierung habe das Projekt schließlich ganz zurückgezogen. Diese Niederlage des Staates mache die ZAD zur „konsequentesten Form“ globalisierungskritisher Camps.
### Commonisierung als Antwort auf Faschismus
Die Autor:innen bezeichnen das kollektive Wirtschaften und Entscheiden in der ZAD als „Commonisierung“. Sie sei nicht nur ökologisch notwendig, sondern auch demokratiepolitisch: da der Staat die Klimakrise nicht löse, müsse man „einen Schritt über die Demokratie hinaus“ gehen, um rechten autoritären Entwicklungen zu begegnen.
### Unterschied zu Klimabewegungen wie FFF
Während Fridays for Future oder die Letzte Generation nur forderten, lebe die ZAD bereits die Alternative. Sie stelle „die nächste Stufe“ dar: statt Appellen werde Wandel direkt praktiziert und sichtbar.
### Vielfalt der Akteur:innen
Bauern:innen, Aktivist:innen, Studierende und Anwohner:innen verbinden sich laut Jörg zu einem „sehr diversen Feld", das Widerstand und Alltagsorganisation gemeinsam gestalte. Diese breite Koalition sichere der ZAD gesellschaftliche Resonanz.
### Zadismus als europäisches Netzwerk
Die ZAD in Notre-Dame-des-Landes stehe stellvertretend für ein internationales Netzwerk besetzter Orte, die sich gegen Großprojekte wehren und alternative Lebensformen testen. Durch diese Vernetzung werde lokaler Widerstand zu einem transnationalen politischen Projekt.
## Einordnung
Der Podcast übernimmt die Perspektive seiner Gäste weitgehend unkommentiert: Staatsversagen, Kapitalismus als Ökozid und die Unfähigkeit parlamentarischer Demokratie werden als Tatsachen präsentiert, Gegenargumente oder kritische Stimmen fehlen. Die ZAD wird idealisiert als funktionierende, gewaltfreie und diversitätsfreundliche Gemeinschaft; Probleme wie interne Machtkämpfe, Räumungsgewalt oder die Rechtsbrüche der Besetzung selbst werden nicht erwähnt. Stattdessen fließen Begriffe wie „Commonisierung“ oder „poststaatliche Demokratie“ wie selbstverständliche Lösungen durchs Gespräch, ohne dass ihr konkreter Mechanismus oder ihre Legitimation hinterfragt wird. Das Format bedient sich dabei eines romantischen Anti-Staat-Frames, der komplexe Macht- und Rechtsfragen auf die Metapher des „Durchlöcherns“ reduziert. Für Hörer:innen, die sich für radikale Klimapolitik interessieren, liefert die Episode eine inspirierende, aber einseitige Bestandsaufnahme; wer sich für kritische Analyse oder Balance sucht, wird sie kaum finden.