The Lawfare Podcast: Lawfare Archive: Is Complying with the Law of War a Defense to Genocide?
Lawfare-Expert:innen diskutieren die brisante Frage, ob Staaten trotz Einhaltung des humanitären Völkerrechts Völkermord begehen können.
The Lawfare Podcast
43 min read3261 min audioIn dieser Archivepisode des Lawfare Podcasts diskutieren Scott R. Anderson, Natalie Orpett und Gabor Rona die Frage, ob ein Staat, der sich an das humanitäre Völkerrecht (IHL) hält, dennoch Völkermord begehen kann. Die Expert:innen analysieren die Schnittstelle zwischen Genozidkonvention und Kriegsrecht, wobei sie besonders auf die aktuellen Verfahren gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof eingehen.
### 1. Kompatibilität von IHL und Genozidkonvention sei möglich
Die Autor:innen argumentieren, dass die Einhaltung des humanitären Völkerrechts kein absolutes Verteidigungsargument gegen Genozidvorwürfe darstelle. Wie Gabor Rona betont: "Our premise is that you can have IHL compliance, but the law concerning genocide still applies."
### 2. Vorsatz als zentrale Hürde bei Genozidvorwürfen
Natalie Orpett erklärt, dass der Nachweis des Völkermordvorsatzes besonders schwierig sei: "The mental state is by far the more complicated aspect of particularly trying to prove genocide." Der Vorsatz müsse darauf abzielen, eine Gruppe "als solche" zu zerstören.
### 3. Grauzonen des humanitären Völkerrechts ermöglichen potenziell problematische Handlungen
Die Expert:innen identifizieren mehrere Bereiche, in denen sich völkerrechtskonformes Verhalten mit genozidaler Absicht verbinden lasse. Besonders problematisch seien Evakuierungsbefehle, die gleichzeitig als IHL-konforme Vorsichtsmaßnahmen und als "deliberately inflicting conditions of life calculated to bring about [the group's] physical destruction" gewertet werden könnten.
### 4. Künstliche Intelligenz und Belagerungskrieg als neue Risikofaktoren
Die Diskussion hebt hervor, dass moderne Kriegsführung - besonders der Einsatz von KI bei Zielentscheidungen und Belagerungstaktiken - die Grauzonen des IHL weiter ausweite und Verantwortlichkeiten verwische. Rona warnt: "It is possible to deflect responsibility in a way that allows one to [...] hide the genocidal acts quite capably."
### 5. Staatliche Verantwortlichkeit bleibt unterentwickelt
Die Expert:innen betonen, dass die Rechtsprechung zur staatlichen Verantwortlichkeit für Völkermord extrem dünn sei - nur vier Fälle vor dem ICJ, keine Verurteilung. Die Zuordnung von Vorsatz zu Staaten bleibe eine der größten juristischen Herausforderungen.
## Einordnung
Diese Episode demonstriert eindrucksvoll die Stärken des Lawfare Podcasts als seriöse juristische Diskussionsplattform. Die Expert:innen präsentieren komplexe völkerrechtliche Fragestellungen mit bemerkenswertem Fachwissen und methodischer Sorgfalt. Besonders bemerkenswert ist die nüchterne Analyse ohne parteipolitische Wertung - die Diskussion konzentriert sich strikt auf die juristische Dimension. Die Expert:innen machen deutlich, dass sie keine Stellung zu den tatsächlichen Vorwürfen gegen Israel nehmen, sondern lediglich die theoretische Möglichkeit diskutieren, dass Einhaltung des Kriegsrechts nicht automatisch Genozid ausschließt. Die Analyse bleibt durchgehend auf abstrakter Ebene und vermeidet Spekulationen über konkrete Fälle. Als Hörer:in gewinnt man wertvolle Einblicke in die Grauzonen des Völkerrechts, ohne manipulative Argumentationsmuster oder einseitige Perspektiven zu erkennen. Die Diskussion hebt die Notwendigkeit präziserer rechtlicher Standards hervor, ohne dabei bestehende Machtverhältnisse zu verharmlosen oder zu rechtfertigen.