Hans von Trotha reist mit seiner Tochter Matilda nach Namibia, um sich mit der kolonialen Vergangenheit seiner Familie auseinanderzusetzen. Der Name "von Trotha" steht für den Völkermord an den Herero und Nama, den General Lothar von Trotha 1904 initiiert hat. Das Feature begleitet die beiden auf ihrer emotionalen Reise durch Windhuk und andere Regionen Namibias, wo sie mit Joel Haikali, einem namibischen Produzenten, und Menschen aus betroffenen Gemeinschaften sprechen. Im Zentrum steht die Frage nach Verantwortung, Erinnerung und der Suche nach "Safe Spaces" für Dialoge über koloniales Unrecht. Die Sendung verwebt persönliche Gespräche mit historischen Fakten und zeigt, wie bis heute die Folgen des Kolonialismus in Landverteilung, Identität und transgenerationalen Traumata sichtbar sind. Besonders deutlich wird, dass die deutsche Vergangenheit in Namibia kaum in Deutschland präsent ist, während sie dort allgegenwärtig ist – etwa durch Straßennamen, deutsche Farmen und die fortwirkende soziale Ungleichheit. Die Sendung zeigt keine rechten oder pseudowissenschaftlichen Inhalte, sondern arbeitet aufklärerisch und selbstkritisch. Die journalistische Leistung liegt in der gelebten Dialogbereitschaft und der komplexen Darstellung von Erinnerungskultur ohne einfache Schuldzuschreibungen. ### 1. Der Name als Belastung Matilda überlegt, ob sie ihren Nachnamen ändern sollte, da dieser in Namibia mit Gräueltaten verbunden ist. Sie empfinde es als belastend, diesen Namen zu tragen, ohne ihn selbst gewählt zu haben. Joel habe sie ermutigt, über diese Identitätsfrage nachzudenken. ### 2. Der Völkermord als Alltag Lothar von Trotha habe den Völkermord an den Herero und Nama mit bürokratischer Gleichgültigkeit organisiert. In seinem Tagebuch notierte er nach dem Erlass des Vernichtungsbefehls lediglich: "Nachmittags Proklamation an die Hereros. Sonst nichts Besonderes." Diese Banalität des Bösen mache die Dimension des Verbrechens kaum fassbar. ### 3. Die fortwirkende Ungerechtigkeit Die Verhandlungen über Reparationszahlungen zwischen Deutschland und Namibia würden ohne die unmittelbar Betroffenen geführt. Marcellia Kashiova, Herero-Psychologin, kritisiert: "Sie bekommen das Geld wegen der Betroffenen, aber sie reden nicht mit ihnen." Dies führe zu weiterer Ausgrenzung. ### 4. Transgenerationale Traumata Die historischen Verbrechen wirken bis heute nach. Alkoholismus, Armut und Identitätsverlust unter den Herero würden als direkte Folgen der Enteignung und Dehumanisierung verstanden. "Herero ohne Vieh - das bedeutet, wir sind kein Volk mehr", so John Chipurua. ### 5. Die Unsichtbarkeit der Geschichte Viele deutsche Tourist:innen wüssten nichts über die Kolonialverbrechen. John berichtet: "Wenn ich in Deutschland war, habe ich keine Erinnerung an den Völkermord an den Herero und Nama gesehen. Ich habe nur die Mauer gesehen." Diese Geschichte werde in Deutschland kaum erzählt. ### 6. Safe Spaces als Widerstand Joel Haikali setze sich für "Safe Spaces" ein - Orte, wo Menschen verschiedener Herkunft ihre Geschichten austauschen können. Dies sei besonders wichtig in einem Land, das nie einen Ort des Schutzes vor Unterdrückung kannte. Das Lächeln der Namibier werde zur Waffe des Widerstands gegen die eigene Entwürdigung. ## Einordnung Diese Sendung zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Reflexivität aus: Ein:e Nachfahre des Täters reist in das Land des Verbrechens und stellt sich den Fragen der Betroffenen. Die journalistische Stärke liegt in der gelebten Dialogbereitschaft – es werden keine einfachen Schuldzuweisungen gemacht, sondern komplexe Erinnerungslandschaften erkundet. Besonders bemerkenswert ist die Sensibilität für verschiedene Perspektiven: Die Sendung lässt sowohl direkt Betroffene wie John Chipurua oder Marcellia Kashiova zu Wort kommen als auch Deutsche in Namibia, wodurch die Vielschichtigkeit der postkolonialen Realität deutlich wird. Die Verwendung literarischer Texte (Thomas Pynchon) zur historischen Einordnung ist geschickt gewählt und vermeidet didaktische Fehltritte. Kritisch anzumerken ist, dass die Perspektive der deutschen Regierung zu den Reparationsverhandlungen kaum vorkommt – ein kleines Ungleichgewicht in einem sonst vielstimmigen Feature. Die Sendung vermeidet es geschickt, koloniale Verbrechen zu relativieren oder zu verharmlosen, ohne in billige Schuldsucht zu verfallen. Als Hörer:in bekommt man ein differenziertes Bild der langen Schatten der Kolonialgeschichte – persönlich, historisch informiert und mit dem Blick für die komplexen Verflechtungen von Vergangenheit und Gegenwart.