Der Falter-Podcast mit Raimund Löw widmet sich in dieser Folge der Frage, ob Österreich seine seit 1955 verankerte Neutralität angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine überdenken sollte. Zu Gast sind der ehemalige Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager (FPÖ, später Liberales Forum) und der Politikwissenschaftler Heinz Gärtner. Frischenschlager plädiert für einen Austritt aus der Neutralität und einen Beitritt zur NATO, da diese als "falsches Werkzeug" im 21. Jahrhundert keine ausreichende Sicherheit biete. Gärtner fordert hingegen eine „engagierte Neutralität“, die sich stärker auf Friedensinitiativen, Diplomatie und Abrüstung konzentriere. Die Diskussion beleuchtet unterschiedliche Sichtweisen auf sicherheitspolitische Garantien, Kosten und die Rolle Österreichs in der EU. ### 1. Neutralität als „falsches Werkzeug“ im 21. Jahrhundert Frischenschlager bezeichnete die Neutralität als veraltet: „Wenn man ein falsches Werkzeug hat, das seine Wirkung nicht entfaltet, dann soll man es austauschen.“ Sie biete keinen Schutz vor Cyber- oder Atomangriffen und verhindere verlässliche Bündnisse. ### 2. „Engagierte Neutralität“ statt Bündnisfixierung Gärtner hält eine Neuinterpretation für nötig: „Nicht die Neutralität abschaffen, sondern die Politik der Neutralität ändern.“ Österreich solle sich in EU, UNO und OSZE stärker für Friedensvermittlung, Abrüstung und Rüstungskontrolle einsetzen, ohne sich militärisch zu binden. ### 3. NATO-Beitritt als vermeintliche Kostenersparnis Frischenschlager argumentierte, durch die Bündnisfähigkeit könnten langfristig Kosten gesenkt werden, weil man auf geteilte Ressourcen und kollektive Abschreckung zurückgreife. „Sicherheit kostet Geld“, doch die Garantie des Bündnisfalls rechtfertige die Ausgaben. ### 4. Zwei-Prozent-Ziel als finanzielle Hürde Gärtner widerspricht: Ein NATO-Beitritt verlange mindestens zwei Prozent des BIP für Verteidigung – für Österreich rund zehn Milliarden Euro jährlich. Das sei teurer als die derzeitige nationale Verteidigungsplanung und führe zu überflüssiger Aufrüstung. ### 5. Pufferlage oder geografische Sicherheit Frischenschlager betonte die Mittellage Europas: „Wir sind eine Brücke … eine Pufferzone“, weshalb ein Angriff auf Nachbar-NATO-Staaten auch Österreich treffen könne. Gärtner hält das Risiko für gering, da das Land keine strategischen Bodenschätze oder Seehäfen biete und von NATO-Partnern umgeben sei. ### 6. Bevölkerungsmeinung als politische Realität Beide debattierten über die laut Umfragen stabile Mehrheit für die Neutralität. Frischenschlager meint, die Bevölkerung müsse „aufgeklärt“ werden, während Gärtner betont: „Die Bevölkerung ist nicht blöd“ und assoziiere mit der Neutralität Unabhängigkeit und friedliche Identität. ## Einordnung Die Sendung ist eine klassische Talk-Runde mit klarem Kontra-Prinzip: zwei Gäste, eine Moderatorin, zahlreiche Publikumsfragen. Die Diskussionskultur bleibt stets sachlich und höflich, doch argumentative Lücken bleiben sichtbar. Beide Seiten wiederholen ihre Kernthesen, ohne tiefer auf Finanzierungsmodelle, konkrete EU-Solidaritätsmechanismen oder zivile Verteidigungskonzepte einzugehen. Die Frage der Glaubwürdigkeit wird vor allem symbolisch behandelt: Sanktionen, Waffenlieferungen und Cyber-Abwehr werden als „neutral“ oder „nicht neutral“ etikettiert, ohne rechtliche oder historische Tiefe. Die Perspektive der Ukraine, junger Menschen oder der zivilgesellschaftlichen Friedensarbeit bleibt ausgespart; stattdessen steht ein nationales „Wir“ im Mittelpunkt. Die Diskussion reproduziert damit die österreichische Debatten-Topik, ohne sie zu erweitern. Für Hörer:innen, die sich für österreichische Außenpolitik und Sicherheitsfragen interessieren, bietet die Folge einen soliden Einstieg mit zwei klar markierten Standpunkten. Wer neue Impulse oder detaillierte Expertise erwartet, wird sie vermissen. Hörempfehlung: Ja, wenn man eine knappe, kontrastreiche Orientierung über die Neutralitätsdebatte in Österreich sucht; wer vertiefte Analysen oder alternative Sicherheitsmodelle braucht, sollte ergänzende Quellen konsultieren.