Rachel Abrams spricht mit der NYT-Reporterin Lisa Miller über ein Paar, dessen Ehe durch GLP-1-Abnehmmittel wie Ozempic ins Wanken gerät. Die 15-jährige Beziehung zwischen „Jean“ und „Xavier“ verändert sich schlagartig, nachdem sie 60 Pfund abnimmt und ihr Selbstbild, ihre Gewohnheiten und ihre Sexualität sich umkrempeln. Miller schildert, wie das Gewichtsverlust die sozialen Rollen, die Paar-Dynamik und sogar das Begehren innerhalb der Beziehung neu verhandelt – bis zur völligen Einstellung des Sexuallebens. Das Gespräch zeigt, wie stark Körper, Identität und Partnerschaft miteinander verflochten sind, wenn sich ein Mensch physisch radikal wandelt. ### 1. Der „neue Körper“ verändert Machtverhältnisse im Paar Jean habe jahrelang ihr Leben als „pleasing extrovert“ gestaltet, weil sie sich in ihrem „bigger body“ unsichtbar gefühlt habe. Durch das Medikament verschwinde das „food noise“, sie verliere 60 Pfund innerhalb von acht Monaten und könne nun Grenzen ziehen: „I don’t want to have sex and I’m saying so.“ Das Gewichtsverlust wirke wie ein soziales Upgrade – sie werde auf Flügen als „small person“ begrüßt und beruflich sichtbarer, während ihr Mann plötzlich den „drinking buddy“ und die körperliche Intimität verliert. ### 2. Sexualität als verhandelbare, nicht selbstverständliche Leistung Das Paar habe seit Beginn der Medikation keinen Sex mehr gehabt. Javier vermisse „the softness of her body“, während Jean erkläre, früher habe sie Sex aus Pflichtgefühl zugestimmt: „I just didn’t say no before.“ Die Einsicht, dass Sexualität nicht automatisch Teil der Ehe sein müsse, sondern eine Grenze, die sie neu ziehe, sei für beide „blindsiding“ gewesen. ### 3. Paar-Rituale als stabilisierendes Gerüst brechen weg Weinabende, späte Spiele-Nächte, üppige Essen – das gemeinsame „imbibe in life“-Narrativ habe sich aufgelöst. Jean wolle früher nach Hause, trinke keinen Alkohol mehr und bestehe auf neue Alltagsregeln. Die „unstated contract“ ihrer Beziehung müsse neu verhandelt werden, was zu häufigen, lauten Streiten führe: „We go from zero to 60 in like seconds.“ ### 4. Die Therapie schafft nur bedingt neue Nähe Ein gemeinsames Therapie-Übungsprogramm mit gesteuerter Berührung ohne erogene Zonen werde nur einmal ausprobiert; Jean lehne eine Wiederholung ab. Die asymmetrische Motivation – er wolle „a road map“, sie brauche Zeit – verharre in Pattschaft: „Still not having sex“, aber beide zeigen mehr Empathie und verharren nicht in Trennungsabsichten. ### 5. Körperpolitik und gesellschaftliche Belohnung Miller hebt wiederholt, dass „the world starts approving of you“: Fluggäste loben die „small person“, die Marketing-Abteilung setze Jean als „talking head“ ein. Diese neue Sichtbarkeit verstärke ihr Selbstbewusstsein, lasse aber auch „die alte Jean“ zurück, die sich selbst verteidige: „Were they thinking these things the whole time?“ ## Einordnung Die journalistische Stärke des Stücks liegt darin, eine Einzelgeschichte konsequent durch die Perspektive beider Partner zu erzählen und dabei die sozialen Implikationen von Gewichtsverlust-Medikamenten auszuleuchten. Miller nutzt klare narrative Strukturen (High-School-Flashback, Status-quo-Intermezzo, Gegenwart) und belegt ihre Thesen mit direkten, oft intimen Zitaten. Kritisch anzumerken ist, dass fast ausschließlich die weiße, bürgerliche Mittelschicht-Perspektive zu Wort kommt; weder ökonomische Zugangshürden der teuren Medikamente noch andere Körperpolitiken (z. B. Fettfeindlichkeit in Schwarzen Communities) werden eingebracht. Die Reduktion auf das Paar-Glück nimmt Faktoren wie Kinder-Alltag, finanzielle Sicherheit oder mögliche Nebenwirkungen aus dem Blick. Dennoch gelingt es, über das individuelle Schicksal hinaus ein gesellschaftliches Phänomen sichtbar zu machen: Wenn sich Körper verändern, verändern sich auch Macht, Begehren und Geschlechterrollen – und selbst liberale, flexible Beziehungen müssen diese Verhandlungen erst noch lernen.