99 ZU EINS: Episode 575: Weltordnung im Umbruch III: Innen mit Michael Kuhn
Linkes Interview über den angeblichen Umbruch der Weltordnung, westliche Dominanz und die Selbstbehauptung des globalen Südens.
99 ZU EINS
32 min read5307 min audioDer Podcast "99 ZU EINS" diskutiert mit dem Politikwissenschaftler Michael Kuhn den sogenannten Umbruch der Weltordnung – insbesondere seit dem diplomatischen Eklat im Oval Office. Kuhn hält die Debatte in Deutschland für verkürzt: Der „Umbruch“ sei kein plötzliches Ereignis, sondern ein schleichender Machtverlust des Westens seit 2008. Die „Drohkulisse“ diene vor allem dazu, Aufrüstung und Abschottung zu legitimieren. Länder des globalen Südens betrachteten Multipolarität nicht als Bedrohung, sondern als Chance auf postkoloniale Gerechtigkeit. Sie verfolgten keine ideologische, sondern eine „pro-selbst“-Strategie: maximale Souveränität durch flexible Allianzen (BRICS, Blockfreie). Der Westen müsse seine Rolle neu definieren: auf Augenhöhe kooperieren, statt „Lehrer-Schüler“-Logik zu reproduzieren, und eigene Fehler eingestehen – sonst drohe Isolation bei globalen Herausforderungen wie Klimawandel oder Pandemien.
### 1. Der Machtverlust des Westens ist kein neues Phänomen, sondern ein seit 2008 sichtbarer Prozess
Kuhn betont, dass der „Umbruch“ längst stattfinde: „Die Weltordnung, klar, die ist im Umbruch. Das war sie aber eigentlich schon immer.“ Die Deutungshoheit liege nicht mehr ausschließlich bei G7 oder NATO, sondern auch bei Staaten des globalen Südens, die ihre Interessen nun selbst formulieren.
### 2. Die „Drohkulisse“ dient primär der Legitimation von Aufrüstung
In deutschen Debatten werde Multipolarität gezielt als Bedrohung inszeniert: „Dann braucht Deutschland mehr Militär, dann braucht die EU mehr Militär.“ Diese Argumentation sei ideologisch, nicht empirisch begründet.
### 3. Länder des globalen Südens interpretieren Multipolarität als Entlastung von Kolonialität
Aus postkolonialer Perspektive sei der „Abstieg“ des Westens „erstmal etwas Positives“. Sie sähen die Chance auf „eine gerechtere Weltordnung, in der sie selber mitgestalten können“.
### 4. Die neue Allianzpolitik ist weder pro-russisch noch pro-chinesisch, sondern „pro-sich selbst“
Die Weigerung Südafrikas, Wladimir Putin zu verhaften, zeige keine ideologische Nähe, sondern die Ablehnung, „sich vom Westen vorschreiben zu lassen“. Es gehe um „Multilateralismus statt Blockbildung“.
### 5. Der Westen muss seine „hegemoniale Logik“ aufgeben, um globalen Problemen zu begegnen
Reshoring und Abschottung würden die Kooperation mit dem globalen Süden schwächen – obwohl gerade dort Lösungen für Klimawandel, Migration und Pandemien kämen. Wer Kompromisse ablehne, riskiere „komplette Isolation“.
## Einordnung
Der Podcast betreibt keinen investigativen Journalismus, sondern positioniert sich als linkes Meinungsformat. Die Gesprächsführung bleibt stets affirmativ, widerspricht kaum und wiederholt die Kernthesen des Gastes. Kritische Gegenfragen – etwa zur autoritären Kehrseite mancher BRICS-Staaten oder zu konkreten Machtinteressen Chinas und Russlands – fehlen. Stattdessen flacht das Gespräch in Wiederholungen: Die westliche Selbstverklärung als „Moralapostel“ wird an sechs Stellen nahezu wortgleich dekonstruiert. Der Gast beansprucht Deutungshoheit, ohne seine eigene Perspektive als ebenfalls parteiisch zu markieren. Für Hörer:innen, die eine einseitige, aber klar linkslautere Analyse des Machtverschiebungsprozesses suchen, liefert die Episode eine rundweg bestätigende Narration – wer jedoch kontroverse oder nuanciertere Diskurse erwartet, wird enttäuscht.