Studio Ett: Studio Ett 2025-10-28 kl. 22.12
SR-Podcast über Informationsblockaden in Behörden – von der Estonia-Tragödie bis zum Gesundheitswesen.
Studio Ett
21 min read4950 min audioStudio Ett diskutiert in dieser Folge das Phänomen der "Tystnadskultur" (Schweigekultur) anhand dreier konkreter Fälle: der zweiten Untersuchungskommission zur Estonia-Katastrophe, des Whistleblower-Systems im Stockholmer Gesundheitswesen und allgemeiner Erfahrungen in der schwedischen Verwaltung. Moderator:innen sind Tove Lindahl Greve und Erik Rosén. Zu Wort kommen Ing-Marie Wieselgren (Psychiaterin, SKR), Lars Ångström (ehem. Mitglied des schwedischen Parlaments für die Grünen) sowie Gunilla Hultgren Västlund (Politikwissenschaftlerin, Mittuniversitetet).
### T1: Estonia-Ausschuss blockiert – Militärs gehen keine Auskünfte
Lars Ångström behauptet, die neue Haager-Kommission zur Estonia sei durch eine "Schweigekultur" gelähmt. Besonders die schwedische Streitkräfte verweigerten Informationen über Militärtransporte an Bord und existierende Unterwasser-Filmmaterialien: "Man sagt, dass es nicht gefunden wurde oder dass es verschwunden ist. Aber das stimmt nicht." Ohne vollständige Akten könne keine klare Ursachenanalyse gelingen.
### T2: Schweigekultur als Führungsproblem – Macht, Angst und Gruppenzwang
Ing-Marie Wieselgren erklärt, dass in Organisationen oft systemische Angst herrsche: "Es geht darum, ob ich zur Gruppe gehöre oder nicht. Ich will nicht derjenige sein, der als störend wahrgenommen wird." Fehlendes Vertrauen in die Führung führe dazu, dass Fehler vertuscht und Lernprozesse blockiert würden – mit Schaden für Patient:innen, Mitarbeitende und demokratische Kontrolle.
### T3: Whistleblower-Plattform gescheitert – kein Schutz, keine Konsequenzen
Die Stockholmer Region spendierte viel Geld für ein Meldesystem, doch laut Gunilla Hultgren Västlund funktioniert es nicht: "Sie haben keinen Schutz vor Repressalien erhalten, kein Feedback, keine Veränderung." Viele Meldende erlebten Misstrauen und Nachteile. Die politische Absicht existiere, doch es fehlten Ressourcen, Kompetenz, klarer Auftrag und eine Kultur, die Offenheit belohnt.
### T4: Lösung nur mit "mutiger Führung" – Offenheit muss gelebt werden
Alle drei Expert:innen sind sich einig: Richtungsweisende Führung sei nötig, die unbequeme Themen anspricht, Repressalien ausschließt und Transparenz tatsächlich lebt. Lars Ångström fordert vom schwedischen Kabinett ein klares Mandat mit Zwangsmöglichkeiten; sonst bleibe die Untersuchung wirkungslos.
## Einordnung
Das Format nutzt das klassische öffentlich-rechtliche Interview-Muster: knappe Nachfragen, parallele Expert:innen-Perspektiven und klare Struktur. Die Moderation bleibt sachlich, ohne Polemik oder Verschwörungsrahmen. Besonders positiv: Es werden systemische Machtverhältnisse sichtbar gemacht (militärische Geheimhaltung, hierarchische Klinikstrukturen, politische Implementierungslücken) und nicht einfach Einzelschuld zugewiesen. Kritisch anzumerken ist, dass die Sendung keine Gegenposition zu Ångströms Vorwurf zulässt – Vertreter:innen der Streitkräfte oder der Regierung äußern sich nicht. So bleibt die Frage, ob die angeblichen Beweise tatsächlich existieren, unhinterfragt im Raum stehen. Dennoch liefert die Episode eine lehrreiche Analyse von Informationsblockaden in Institutionen und verdeutlicht, warum parlamentarische Untersuchungskommissionen ohne Zwangsbefugnisse oft scheitern.