Tachles Podcast ZUKUNFT DENKEN: Erneuerung für 5786
Ein selbstbezüglicher Rückblick auf ein Jahr der Krise – ohne kritische Distanz zur jüdischen Debatte oder zu Israel.
Tachles Podcast ZUKUNFT DENKEN
28 min read1664 min audioDer Publizist und Philosoph Michel Friedman nimmt im Tachles-Podcast "Zukunft denken" beim jüdischen Jahreswechsel eine Bestandsaufnahme der jüdischen Gemeinschaft weltweit vor. Er spricht über die tiefgreifende Krise, die durch den Krieg in Gaza, den 7. Oktober und den damit einhergehenden Antisemitismus ausgelöst wurde. Friedman beschreibt, wie Juden:innen in der Diaspora sich zunehmend unsicher und bedroht fühlen – nicht nur durch Rechtsextreme, sondern auch durch Islamismus und Linksextremismus. Er kritisiert, dass die jüdische Gemeinschaft oft für die Politik des israelischen Staates verantwortlich gemacht werde, obwohl viele Diaspora-Juden sich davon distanzieren. Gleichzeitig warnt er vor einem inneren Zerfall Israels als demokratischen Staat und fordert, dass jüdisches Leben sich nicht allein durch Antisemitismus definieren sollte, sondern durch selbstbewusste, demokratische Teilhabe.
### 1. Antisemitismus erfährt nach dem 7. Oktober eine neue Dimension
Friedman erklärt, dass der Judenhass seit dem Oktoberangriff eine neue Qualität erreicht habe. Juden würden weltweit für die Handlungen Israels verantwortlich gemacht, unabhängig von ihrer eigenen Haltung: „Dass wir als jüdische Diaspora in Haftung genommen werden, für all das, was eine staatlich politische Regierung […] unternimmt.“
### 2. Die Demokratie in Israel sei durch die aktuelle Regierung gefährdet
Er kritisiert die israelische Regierung scharf und nennt sie eine der größten Bedrohungen für den demokratischen Charakter Israels. Es gebe Minister:innen, die rechtsradikal seien und den Rechtsstaat abbauen würden: „Diese Regierung, die teilweise von extremistischen, auch rechtsterroristisch verurteilten […] Minister:innen stellt.“
### 3. Die jüdische Diaspora erlebe eine Identitätskrise
Viele Diaspora-Juden stünden vor der Frage, wie sie sich zu Israel verhalten sollen, wenn dessen demokratische Werte untergraben würden. Friedman betont, dass jüdische Identität nicht allein durch Antisemitismus entstehe, sondern durch aktive Gestaltung: „Jüdische Identität entsteht nicht durch den Antisemitismus.“
### 4. Die Krise der Demokratie betreffe nicht nur Juden
Friedman weitet die Debatte aus: Der Angriff auf Minderheiten wie Juden sei Teil eines breiteren Angriffs auf die Demokratie. Die Mehrheitsgesellschaft reagiere zu wenig: „Der Angriff, über den wir sprechen, ist der Angriff auf die Demokratie an sich.“
### 5. Innerjüdische Debatten würden zu kurz kommen
Er bemängelt, dass viele jüdische Gemeinden sich zu sehr auf Abwehr konzentrierten, statt aktiv demokratische und jüdische Zukunft zu gestalten. Es fehle an einer selbstbewussten, inhaltlichen Auseinandersetzung: „Die ausschließliche Auseinandersetzung mit dem Judenhass […] ist nicht jüdische Identität.“
## Einordnung
Michel Friedman liefert hier keine journalistische Analyse, sondern eine persönliche, teils metaphysische Betrachtung. Die Gesprächsführung bleibt unkritisch, Gegenfragen oder Hinterfragungen seiner Thesen finden nicht statt. Die Darstellung ist durchweg apologetisch: Kritik an Israel wird zwar angedeutet, aber nicht weiterverfolgt. Stattdessen wird eine Opferidentität zementiert, ohne nach differenzierten Ursachen zu fragen. Interessant ist, wie Friedman Rechtsextremismus, Linksextremismus und „Islamismus“ gleichsetzt und so eine Eigenlogik des Antisemitismus konstruiert, ohne politische oder historische Kontexte zu berücksichtigen. Die These, dass Diaspora-Juden durchgehend für Israels Handeln verantwortlich gemacht würden, bleibt unbelegt. Zudem werden komplexe gesellschaftliche Entwicklungen wie die in Ungarn oder die US-Politik auf ein „Versagen der Demokratie“ reduziert. Der Fokus auf „jüdische Würde“ und „Demokratie“ bleibt vage, konkrete politische Forderungen oder Positionen werden nicht eingenommen. Insgesamt ein Beitrag, der eher konsolidiert, statt zu klären – und als Diskursbeitrag innerhalb der jüdischen Gemeinschaft konzipiert ist, ohne breitere gesellschaftliche Perspektiven einzunehmen.