Kontext und Sprecher In der knapp einstündigen Politik-Sendung „L’Esprit public“ (Folge: „Russland, Ukraine, Nato – wie weit wird Wladimir Putin gehen?“, 21.9.2025) diskutieren Moderatorin Astrid de Villaines mit vier Expert:innen über russische Drohnen-Eindringflüge in Nato-Luft­räume, mögliche Allianz-Spannungen und westliche Sicherheits­architektur. Zu Wort kommen der Politik­wissenschaftler Bertrand Badie (Sciences Po), die Außen­politik-Kolumnistin Sylvie Kauffmann („Le Monde“), die Russland-Spezialistin Véra Grandseva (Sciences Po) und die Dokumentarfilmerin Manon Loiseau („Polyc – Stimmen gegen den Kreml“). Hauptthema Die Sendung fragt, ob die jüngsten Drohnen-Vorfälle über Polen, Rumänien und Estland bewusste Eskalationen Putins sind, wie stabil die Nato-Antwort bleibt – und wie weit der Kremlchef bei internem Widerstand und westlicher Unsicherheit noch gehen könnte. ### Drohnen-Eindringen sei kein Zufall, sondern Signal Alle Gesprächsteilnehmer:innen werten die Vorfälle als kalkulierte „Macht- und Testbotschaft“. Badie nennt die Annahme eines Irrtums „grotesk“, Kauffmann spricht von „organisierten, gezielten Inzidenzen“. Grandseva betont, Moskau wolle zeigen: „Die Nato existiert nicht, weil es keine Reaktion gibt.“ ### US-Dissens unterminiere Bündnis-Kohäsion Kauffmann und Badie kritisieren die „lähmende Weichheit“ Washingtons: Die Europäer reagierten vergleichsweise geschlossen, während Trump Zwietrakt säe und Putin so die „transatlantische Kluft“ aufzeige. Die Nato-Front erscheine gespalten – ein „erfolgreicher Test“ für den Kreml. ### Drohnen-Krieg entlarve technologische Rückständigkeit des Westens Die Diskussion zeigt: Die Ukraine habe die Drohnen-Offensive innovativ vorangetrieben, Russland kopiere und skaliere nun schneller. Die Nato sei technisch unvorbereitet, „zu schwer, zu teuer“, ein „Drohnenwall“ stehe erst am Zeichenbrett. Die baltischen Staaten wenden sich inzwischen an Kiew, um zu lernen. ### Abschreckung funktioniere nur begrenzt Badie hält die klassische nukleare Abschreckung für weitgehend leer laufen: Putins „Diplomatie des Terrors“ (Cyber, Desinformation, Söldner-Präsenz) operiere unterhalb klassischer Schwelle für Artikel 5; die Nato wisse nicht, wann sie wie reagieren müsse. Die Abschreckung wirke – paradox – auch „umgekehrt“: Der Westen lasse sich durch Atom-Keule bremsen. ### Russlands innere Repression erreiche neue Stufe Loiseau schildert zehntausende vermisste Ukrainer:innen in russischen Geheimgefängnissen, systematische Folter und verstärkte FSB-Haft ohne Kontrolle. Die neue Gesetzgebung erlaube „versteckte“ Haft und Isolation; Briefaktionen von Memorial seien einzige Brücke zu politischen Gefangenen. ### Hoffnung liege in Zivilgesellschaft und Kosten-Nutzen-Kalkül Trotz allem ortet Badie eine „Paradoxie der Macht“: Gewalt werde immer teurer und gleichzeitig ineffektiver. Die rationalen Kosten könnten langfristig zur Eindämmung führen. Zivilgesellschaftliche Widerstandsformen (Briefe, Interviews) und europäische Entschlossenheit seien wichtige Gegenpole. ## Einordnung Die Sendung wirkt wie ein professionelles Krisen-Gespräch auf höchstem Niveau: klare Fragen, schnelle Gegenrede, viele direkte Zitate und keine scheinheilige Balance. Die Expert:innen differenzieren zwischen belegten Fakten (Drohnen-Flüge, US-Statements, Repressionsgesetze) und notwendigen Spekulationen über künftige Eskalation. Auffällig: Alle betonen die Unberechenbarkeit Putins, ohne in reine Angst-Mache zu verfallen; gleichzeitig wird westliches Zaudern (US-Außenpolitik, technologische Nachrüststand) offen adressiert. Der Rundfunk bietet hier keine einfachen Antworten, sondern eine differenzierte Bestandsaufnahme mit Appell an strategische Neuausrichtung und zivile Solidarität. Keine rechten oder esoterischen Positionen, sondern klar aufgeklärte internationale Politikanalyse. Hörempfehlung: Wer in einer Stunde verstehen will, warum die Nato trotz Artikel-5-Garantien nervös wird und was Drohnen, Trump und politische Gefangene miteinander zu tun haben – hier bekommt man schnell, faktenreich und streitbar Antwort.