Dieses Feature des Deutschlandfunks begleitet Georgier:innen, die sich gegen die autoritäre Regierungspartei „Georgischer Traum“ stellen. Die Journalist:innen Malgorzata Żerwe und David Zane Mairowitz zeigen, wie ein Putin-naher Oligarch das Land hinter den Kulissen steuert, während die Regierung Bürgerrechte einschränkt, Medien unterdrückt und LGBTQ+ Personen diskriminiert. Die zentrale Erzählung verbindet die Proteste pro-europäischer Demonstrant:innen mit der Gegenwehr einer Kirche, die gemeinsam mit der Regierung traditionelle Familienwerte zelebriert und dabei gezielt Spaltung schürt. Die Reportage arbeitet mit starken Bildern und persönlichen Schicksalen, etwa einer Mutter, deren Sohn zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, weil er angebend eine Plastikflasche geworfen haben soll. Die Autor:innen lassen unterschiedliche Positionen zu Wort kommen – von Aktivist:innen über Politolog:innen bis hin zu Regierungsvertreter:innen – und zeichnen so ein düsteres Bild eines Landes, das zwischen Europa und Russland hin- und hergerissen ist. Besonders eindrucksvoll sind die Schilderungen von Gewalt gegen Journalist:innen und Demonstrant:innen, die vor laufender Kamera stattfindet, ohne dass die Täter:innen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Reportage versteht sich als Zeugnis eines zerrissenen Landes, in dem Demokratie zunehmend beschädigt wird. ### 1. Ein Oligarch lenkt Georgien im Hintergrund Bidzina Ivanishvili, ein reicher Geschäftsmann mit angeblichen Verbindungen nach Moskau, habe seit 2012 die Fäden in Georgien gezogen. Ehemalige Regierungsmitglieder beschreiben ihn als „Schattenherrscher“, der Minister:innen auswählt und über eine Art Netzwerk kontrolliere. „Er nutzt das Land als seine private Schatzkammer“, sagt der ehemalige Staatsminister Patta Sakareishvili. Ivanishvili habe zunächst alle Oppositionsparteien finanziert, um sie dann unter seine Kontrolle zu bringen. ### 2. Die Kirche wird zur politischen Waffe Die georgisch-orthodoxe Kirche spielt laut mehreren Interviewten eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung für Anti-EU-Parolen. Priester:innen würden von der Regierung für Demos organisiert und finanziert. „Die Kirche predigt direkt für Ivanishvili“, sagt der Kulturwissenschaftler Georgi Maisuradze. Der 17. Mai, früher der internationale Tag gegen Homophobie, sei zum „Tag der Familienreinheit“ umgedeutet worden – ein Gesetz, das 2024 von der Regierung eingeführt wurde. ### 3. LGBTQ+ Personen werden zur Zielscheibe Mehrere Gesetze und Parolen richten sich gezielt gegen queere Menschen. Die Regierung habe ein Gesetz verabschiedet, das gleichgeschlechtliche Ehen und Adoptionen verbietet sowie „LGBTQ-Ideologie“ in der Öffentlichkeit einschränkt. Bei der Familienreinheitsparade 2025 beschimpfen Teilnehmer Gegendemonstrant:innen als „Verräter ihrer Rasse“. Ein junger Mann erklärt, LGBTQ-Menschen seien schuld an Kriegen und würden die Nation zerstören – eine Rhetorik, die an NS-Propaganda erinnert. ### 4. Politische Gefangene und willkürliche Verhaftungen Seit 2024 gebe es laut der Menschenrechtsaktivistin Ketty Khutsishvili „kein Gericht mehr in Georgien“. Menschen würden ohne Beweise verurteilt. Die 76-jährige Marina ihr Sohn sei zu zwei Jahren Haft verurteilt worden, weil er angebend eine Plastikflasche auf Polizist:innen geworfen habe. „Es ist totale Kafkaesk“, sagt sie. Es gebe 53 politische Gefangene – umgerechnet auf Deutschland wären das 1500. ### 5. Medien und Journalist:innen werden attackiert Reporter:innen berichten von gezielten Angriffen. Der Kriegsreporter Guram Rogava wurde 2024 während einer Live-Schalung von einem Polizisten mit einem Schlagstock am Hals getroffen – nur Millimeter neben dem Nerv, der Arme und Beine steuert. Die Überwachungskameras hätten genau in dem Moment „aus technischen Gründen“ versagt. Die Botschaft: „Wenn ihr die Realität zeigt, versuchen wir, euch zu töten.“ ### 6. Die EU-Träume der Menschen werden systematisch zerstört Viele Georgier:innen wollen laut Umfragen in die EU, doch die Regierung blockiert mit neuen Gesetzen und Repressionen den Weg. „Wir denken, dass wir es verdienen, Teil von Westeuropa zu sein“, sagt die 26-jährige Mariam. Die Regierung nutze Anti-EU-Rhetorik, um von innenpolitischen Problemen abzulenken. Die Menschen fürchten, ihr Land könne wie Belarus enden. ## Einordnung Die Reportage ist ein bewegendes Beispiel für investigativen Journalismus, der mit klarem Blick für Machtverhältnisse und menschliche Schicksale erzählt. Die Autor:innen gelingen beeindruckende Szenen – etwa wenn eine Mutter ihren Sohn im Gefängnis besucht oder ein Journalist von Polizist:innen attackiert wird. Dabei bleibt das Feature journalistisch souverän: Es lässt verschiedene Positionen zu Wort kommen, ohne sie zu relativieren. Besonders stark: Die Verbindung zwischen religiösen und politischen Akteuren, die gezielt Spaltung schüren. Die dokumentarische Erzählweise mit persönlichen Geschichten macht das Thema greifbar – ohne voyeuristisch zu wirken. Kritisch anzumerken ist, dass einige Aussagen (etwa zur angeblichen Homosexualität des Patriarchen) nicht überprüft werden und die Gefahr besteht, Stereotype zu bedienen. Insgesamt aber ein wichtiger Beitrag über ein Land, das zwischen Demokratie und Autoritarismus schwankt – und die Menschen, die sich dagegen wehren. Die Reportage zeigt: Georgien steht nicht nur zwischen Ost und West, sondern zwischen Hoffnung und Angst.