Der Tag: Ça va, Frankreich? - Rücktritte, Reformstau, Regierungskrise
Deutschlandfunk erklärt, warum Frankreich wieder ohne Regierungschef dasteht und wie Andrej Babiš in Tschechien sein Comeback plant.
Der Tag
12 min read1934 min audioIm Deutschlandfunk-Podcast "Der Tag" diskutieren Moderatorin Sarah Zerback und Korrespondentin Christiane Käs über den Rücktritt des französischen Premierministers Sébastien Lecornu nach nur einem Monat im Amt. Die Sendung wirft einen genauen Blick auf die innenpolitischen Gründe: Lecornu scheiterte an der Bildung einer tragfähigen Minderheitsregierung, weil sein potenzieller Koalitionspartner Bruno Retailleau die Ernennung von Bruno Le Maire zum Verteidigungsminister ablehnte. Die Französische Nationalversammlung ist seit Jahren blockiert, keine Fraktion verfügt über eine Mehrheit, weshalb Regierungen wiederholt an Haushaltsstreitigkeiten scheitern. Zusätzlich machen Gewerkschaften mit Massenprotesten gegen geplante Sparmaßnahmen und Rentenreformen Druck. Der Beitrag spannt den Bogen zu Tschechien, wo Ex-Premier Andrej Babiš nach Wahlerfolg ein Comeback anstrebt, was in liberalen Kreisen mit Sorge aufgenommen wird.
### 1. Lecornu scheiterte an Personalquerelen
Laut Christiane Käs habe Lecornu die Kooperation mit den Konservativen durch die Ernennung Bruno Le Mairs zum Verteidigungsminister "torpediert". Retailleau, Parteichef der Républicains, habe Le Maire als Symbol für "verschwenderische" Macron-Politik gesehen. Käs zitiert ihn: "Mit Bruno Le Maire wollte Bruno Retailleau überhaupt nicht zusammenarbeiten." Die mangelnde vorherige Abstimmung über die Ressortverteilung habe das Misstrauen verstärkt.
### 2. Institutionelle Blockade in der Nationalversammlung
Die französischen Abgeordneten seien "völlig unfähig, einen Kompromiss zu schmieden", konstatiert Käs. Die strukturelle Pattsituation bestehe seit den letzten Parlamentswahlen, weil weder das Zentrum, die Rechte noch die Linke eine Mehrheit besitzen. Lecornu habe zwar angekündigt, den umstrittenen Verfassungsartikel 49.3 nicht anzuwenden, der eine Gesetzesdurchsetzung ohne Parlamentsabstimmung erlaubt, doch das habe "bei weitem nicht gereicht", um die Opposition zu besänftigen.
### 3. Gewerkschaftlicher Massendruck
Hunderttausende Demonstrant:innen gingen in den vergangenen Wochen gegen geplante Sparmaßnahmen auf die Straße. Die Gewerkschaften fordern die Rücknahme der Rentenreform, die das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre anhob. Käs erklärt, linksradikale Parteien wie La France insoumise nutzten die Proteste, um die Regierung "bei der ersten Gelegenkeit" stürzen zu wollen.
### 4. Kein echter Politikwechsel geplant
Trotz Regierungsumbildung habe Lecornu zwölf von achtzehn Ministern aus dem Vorgängerkabinett übernommen, was Käs als "wirklich mit vielen Fragezeichen besetzt" beschreibt. Ein "Politikwechsel" sei nicht erkennbar gewesen; die Regierung habe sich auf "alte Leute" beschränkt, ohne neue Impulse zu setzen.
### 5. Babiš' Comeback in Tschechien
Der zweite Teil der Episode widmet sich Andrej Babiš, der mit seiner Partei ANO bei der Parlamentswahl laut Käs "ein echtes Comeback" hingelegt habe. Babiš verspricht, Tschechien "zum besten Ort zum Leben in Europa" zu machen. Dies klinge bei liberalen Kräften eher wie eine Warnung, da sie Babiš' frühere populistische Methoden und Antikorruptionsprozesse kritisieren.
## Einordnung
Die Sendung nimmt eine klar erklärende Rolle ein und ordnet die Ereignisse in einem journalistisch-professionellen Rahmen. Besonders gelungen ist die differenzierte Darstellung der Machtverhältnisse: statt einfach "politisches Chaos" zu beschwören, zeigt Käs die konkreten Interessenkonflikte innerhalb der Koalitionsverhandlungen. Kritisch bleibt, dass nur die etablierten politischen Eliten zu Wort kommen; die Perspektive der Streikenden kommt nur als Hintergrundgeräusch vor, ohne eigene Interviewpartner:innen. Die Moderation wirkt in Teilen stark nachfragend, verliert aber bei der Überleitung zu Andrej Babiš' Comeback den roten Faden. Die Frage, warum gerade jetzt über französische Regierungsinstabilität und tschechische Wahlen gemeinsam gesprochen wird, bleibt offen; ein echter inhaltlicher Bezug zwischen beiden Themen wird nicht hergestellt. Insgesamt liefert der Beitrag eine solide Analyse der französischen Innenpolitik, bleibt aber oberflächlich bei der Einordnung der tschechischen Entwicklungen.