Der taiwanesische Kulturlifestyle-Podcast „Nur eine Weinbibliothek“ feiert fünfjähriges Jubiläum. Moderatoren Hank (Hank) und Tingting (Ting), Betreiber des „Otherwise Library“, blicken auf fünf Jahre wöchentlicher Gespräche über Liebe, Angst und Sinnfragen zurück – begleitet von Wein und Selbstgesprächen. Sie erzählen vom chaotischen Live-Start mit drei Kameras, dem Nebenbetrieb des Restaurants, Nacht-Schnitt-Marathons bis vier Uhr und der bewussten Entscheidung, keine „richtigen“ Antworten zu geben. Hauptthema ist, wie ein scheinbar sinnloses Hobby zum Lebensmittelpunkt wurde und welche inneren Stimmen hinter der anhaltenden Lust stehen, sich selbst und andere zu hinterfragen. ### 1. Einstieg als Notlösung statt Karriere-Plan Die Sendung begann 2020 als pandemische Notlösung: Restaurant zwangsweise geschlossen, keine Gäste, keine Perspektive. Die erste Folge wurde live mit drei Kameras und selbst geschalteten Bildern gesendet, weil keine Zeit zum Schneiden war. „Wir dachten nur: Hauptsache ein angenehmer Abend mit Gespräch und Wein“, sagt Tingting. Der Name „Nur eine Weinbibliothek“ entstand aus Wut über die Umstände und die Sehnsucht, Menschen wie „gehende Bücher“ zu behandeln. ### 2. „Keine richtige Antwort“ als Programm Das Paar verstand sich von Anfang an als „Book Tender“: keine Lehrer, sondern Barkeeper, die ihr eigenes Leben „aufmischen“. Jede Folge endet absichtlich offen. „Wenn wir eine Antwort präsentieren würden, wäre das Gespräch vorbei“, erklärt Hank. Dieses Credo zieht sich durch 250 Folgen und wird von Hörer:innen als Erleichterung empfunden – Stichwort „Selbstakzeptanz statt Perfektion“. ### 3. Die Qual der leeren Sequenzen Tingtings größte kreative Sorge ist das Schneiden von Denkpausen. „Ich liebe es, wenn Gäste nach meiner Frage schweigen, weil gerade Gedanken entstehen. Aber Podcast-Hörer:innen denken, die Datei sei abgebrochen.“ Sie entscheidet sich jedes Mal neu, wie viel Stille sie lässt, und nennt das „ein Stückchen authentischer Atem im Medium“. ### 4. Restaurant-Aus als Wendepunkt 2022 stellten sie das parallel geführte Restaurant ein. Die sieben Jahre zuvor galten als „grauenvolle Masterclass“: Lieferdienste für Tiefkühlgerichte, Nacht-Arbeit bis vier Uhr, danach Schnitt. Erst die Konzentration aufs reine Gespräch befreite sie. „Plötzlich war das, was früher nebenher passierte, unser Hauptprodukt – und es funktioniert“, so Hank. ### 5. Kein Plan B, keine Lust auf Schluss Trotz monatlicher Überlegungen, nur Einzelinterviews zu führen, halten die beiden an ihrem Doppelgespräch fest. „Ich will keine Ikone sein, ich will einfach nur Menschen neugierig machen“, sagt Tingting. Deshalb gibt es bis heute kein Ausstiegsdatum. „Solange wir noch Fragen haben, bleibt das Mikro auf.“ ## Einordnung Die Folge ist kein klassisches Jubiläums-Recap, sondern ein stimmiges Beispiel für langsamen, achtsamen Lifestyle-Journalismus. Die Gesprächskultur zeichnet sich durch Offenheit, Selbstironie und echte Neugier aus. Es gibt keine wertenden Kommentare, keine platten Motivationssprüche und auch keine heimlichen Produktplatzierungen. Besonders bemerkenswert: Die beiden sprechen offen über Scheitern, ohne in Selbstoptimierung abzudriften, und behandeln ihre Hörer:innen als erwachsene Begleiter statt als Kundschaft. Der Fokus liegt auf dem „Wie“ des Erzählens – mit angenehm langen Pausen, wiederholten Rückfragen und dem bewussten Verzicht auf schnelle Pointen. Kritisch könnte man anmerken, dass fast ausschließlich interne Perspektiven vorkommen; externe Expert:innen oder Gäste mit konträren Ansichten fehlen. Dennoch gelingt den Moderator:innen mit diesem Format ein liebevoller Gegenentwurf zu schnellen Erfolgspodcasts: Kein Binge, sondern ein wöchentlicher Kurzurlaub für Zwischendrin. Hörempfehlung: Wer bereit ist, sich auf ein entschleunigtes, sehr persönliches Gespräch einzulassen und keine fertigen Lebenshilfe-Antworten erwartet, findet hier authentische Gesprächspartner und vielleicht sogar neue Fragen.