Dissens: #318 Capitalism is broken, here's how we can overcome it
Linkswissenschaftler Aaron Benanav skizziert eine Roadmap für eine demokratisch geplante Post-Kapitalismus-Wirtschaft und warum die KI-Hype ein teures Ablenkungsmanöver ist.
Dissens
74 min read5010 min audioDer Dissens Podcast mit Lukas Ondreka begrüßt den Historiker und Soziologen Aaron Benanav, der mit seinem Forschungsprojekt "Beyond Capitalism" ein Framework für eine demokratisch geplante Post-Kapitalismus-Wirtschaft skizziert. Im Gespräch analysiert Benanav die strukturelle Stagnation des Spätkapitalismus, die er vor allem auf demografischen Wandel, Entindustrialisierung und Finanzialisierung zurückführt. Er sieht die gegenwärtige KI-Hypezyklen als Pyramidensystem, das Ressourcen von einer grünen Transformation ablenkt, und kritisiert die fortschreitende Monopolisierung sowie die Transformation von Bürger:innen zu spekulierenden Kleinanleger:innen. Als Gegenentwurf plädiert er für die Sozialisierung von Investitionen durch demokratisch gewählte Branchenboards, die Nachhaltigkeit, gute Arbeit und Gemeinwohl priorisieren. Realisierbar wäre dies seiner Einschätzung nach innerhalb von fünf Jahren, wenn eine machtvolle linke Bewegung die notwendigen strukturellen Reformen – von Vermögensabgaben über Kapitalkontrollen bis zur Abschaffung der Schuldenbremse – durchsetzt.
### Tether werde für illegale Aktivitäten genutzt
Laut Benanav nutze das Kryptogeld Tether massiv kriminelle Netzwerke, weil es Anonymität und globale Transfermöglichkeiten ohne Banken biete: "Tether is the coin of choice for criminals because it’s stable, it’s dollar-denominated, and it can be moved anywhere in the world without touching the traditional banking system."
### Die KI-Bubble sei eine „Pyramide“ mit Ausstiegsproblemen
Er bezeichnet die gegenwärtigen Milliardeninvestitionen in KI-Datenzentren als spekulative Pyramide, weil nur wenige Kunden die Dienste abnehmen und die Chips über Kredite finanziert würden, die nie zurückgezahlt werden könnten: "NVIDIA is loaning money to companies to buy their chips to kind of keep the whole thing going … we’re spending a trillion dollars building this mountain of junk."
### Kapitalismus produziere bewusst „Gambling Citizens“
Das System zwinge Menschen, trotz schlechter Gewinnchancen an Finanzmärkten zu partizipieren, weil normale Arbeit keine Sicherheit mehr biete: "Everyone is trying to become part of this speculative risk-taking economy … your only chance is to gamble. So it becomes a gambling society."
### Demografische Stagnation bremse Wachstum stärker als Technologie
Die Weltbevölkerung schrumpfe schneller als erwartet, was Produktivitätsfortschritte überlagere: "Capitalist societies tend to see slowing population growth … that in itself is actually a big drag on rates of economic growth."
### Dienstleistungssektor lasse kaum Produktivitätssprünge zu
Da Gesundheit, Bildung und Einzelhandel kaum automatisierbar seien, bleibe der strukturelle Wachstumsschwund trotz KI bestehen: "90 to 95% of companies hadn’t actually seen any benefit from the technology."
### Grüne Tech bleibe dynamisch – wenn es nicht an Großkonzerne falle
Trotz Skepsis gegenüber Silicon Valley sieht Benanav enorme Innovationskraft bei Solar, Wind und Batterien: "Humanity is still capable of incredible dynamism in solving problems … the cost of wind and solar energy is just falling so dramatically."
## Einordnung
Die Sendung wirkt wie ein strategisches Strategiegespräch unter Linken: Ondreka stellt offen seine eigene Spiel- und Kleinanlage-Erfahrung zur Schau, ohne kritische Distanz zu wahren. Die journalistische Rolle beschränkt sich auf Nachhaken und Bestätigen, statt Expertenpositionen zu hinterfragen. So bleibt etwa ungeprüft, ob Benanavs Fünf-Jahres-Szenario realistische Machtverhältnisse und EU-Recht berücksichtigt. Auffällig ist die inflationäre Verwendung von „wir“ – Hörer:innen werden implizit zu Mitverschwörer:innen gegen „das System“ erklärt, ohne dass differenzierte Widerspruchspositionen vorgestellt würden. Faktische Aussagen zur Kriminalität von Tether oder zur KI-Produktivität werden ohne externe Belege übernommen; die These von der bevorstehenden KI-Bubble-Katastrophe erscheint als Gewissheit, nicht als Hypothese. Die Episode bietet dagegen keine Perspektiven von Unternehmensvertreter:innen, Neoliberalen oder Sozialdemokrat:innen, geschweige denn Betroffenen außerhalb der westlichen Welt. Damit bleibt der Diskurs in einer linken Filterblase, die zwar emanzipatorische Energie verbreitet, aber weder argumentative Gegengewichte noch belastbare Empirie liefert.