Der Podcast "O Assunto" behandelt in dieser Folge mit dem Titel "Künstliche Intelligenz in der Bildung: Engpässe und Chancen" die zunehmende Nutzung von KI im brasilianischen Bildungssystem. Die Redakteurin Natuza Nery und der Reporter Victor Boyadjian führen Gespräche mit zwei Expert:innen: Nara Fernandes de Oliveira, Lehrerin an einer öffentlichen Schule im Bundesstaat Rio de Janeiro, und Paulo Blikstein, Professor an der Columbia University in den USA. Die zentrale Frage: Wie beeinflusst KI das Lernen und Lehren – und welche Risiken bringt sie mit sich? ### 1. Mehrheit der brasilianischen Lehrkräfte nutzt KI – aber ohne Schulung Laut einer OCDE-Studie verwenden 56 % der brasilianischen Lehrkräfte KI zur Unterrichtsvorbereitung – 20 Prozentpunkte mehr als im OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig geben 64 % an, nicht über das nötige Wissen zu verfügen. Wie Nara Fernandes erklärt, nutze sie KI zur Erstellung von Unterrichtsplänen: „Ich gebe den Prompt ein, dass ich eine Problematisierung mit einem bestimmten Thema möchte... und sie liefert mir den gesamten Unterricht strukturiert.“ ### 2. Schüler:innen nutzen KI – ohne didaktische Begleitung 70 % der befragten Schüler:innen gaben an, KI für Schulaufgaben zu nutzen, aber nur 32 % erhielten Anleitung zum verantwortungsvollen Umgang. Nara berichtet, wie sie KI gezielt einsetzt: „Wir lehren die Schüler:innen, die Antwort zu lesen, zu prüfen, ob sie angemessen ist... sie sollen die interessanten Passagen heraussuchen und im Heft zusammenfassen.“ ### 3. KI als Verkürzung des Lernprozesses – mit Nachwehen Paulo Blikstein warnt vor automatisierter Oberflächlichkeit: „Wenn Sie einfach schreiben ‚Erstelle eine Einheit, um dieses Thema zu lehren‘... dann ist es ein ernstes Problem, denn wer den Unterricht kontrolliert, ist nicht mehr der Lehrer, sondern ein Algorithmus.“ ### 4. KI kann kognitive Leistung untergraben Ein MIT-Experiment zeigt: 83 % der Teilnehmenden, die einen Text mit ChatGPT verfassten, konnten danach nichts wiedergeben. Die Hirnaktivität war in dieser Gruppe am geringsten. Blikstein folgert: „Ohne diesen Arbeitsprozess findet kein Lernen statt.“ ### 5. Abhängigkeit von Plattformen und Verlust pädagogischer Kontrolle Blikstein kritisiert, dass große Tech-Konzerne über Inhalte, Bewertungen und Daten in Schulen entscheiden: „Der öffentliche Schulraum verliert die Kontrolle darüber, was unterrichtet wird... oft sitzt ein 22-jähriger Mitarbeiter im Silicon Valley vor einem Dashboard und sagt, diese Schule läuft besser, diese schlechter.“ ### 6. Gefahr von Diskriminierung durch verzerrte Algorithmen KI-Systeme können laut Blikstein voreingenommene Bilder liefern: „rassistische, frauenfeindliche oder kulturelle Voreingenommenheiten... autoritäre Regime könnten die Technologie nutzen, um eine bestimmte Sichtweise der Realität zu erzeugen.“ ## Einordnung Die Sendung arbeitet professionell mit klarer Trennung zwischen faktenbasierter Berichterstattung und Experteneinschätzungen. Positiv hervorzuheben ist die bewusste Auswahl zweier komplementärer Perspektiven: einer Praktikerin vor Ort und eines internationalen Forschenden. Die Argumente werden durch Studien und Daten belegt, inhaltliche Widersprüche zwischen den Interviewten bleiben bestehen, werden aber nicht ausdiskutiert. Kritisch ist, dass die strukturellen Rahmenbedingungen – etwa fehlende Investitionen in digitale Infrastruktur oder Datenschutz – nur am Rande thematisiert werden. Auch bleibt offen, welche Interessen die Tech-Konzerne verfolgen, deren Produkte bereits in Schulen Einzug halten. Die Machtfrage, wer Bildungsinhalte und -zugänge definiert, wird zwar gestellt, aber nicht in die globale Bildungspolitik eingebettet. Dennoch liefert der Podcast eine gelungene Einführung in ein komplexes Thema, die Zuhörende befähigt, die eigenen Schul- und Bildungserfahrungen kritisch zu hinterfragen.