Die Antwort der Bundesregierung steht noch aus. **KONTEXT** Die Fraktion der AfD nutzt mit dieser Kleinen Anfrage ein Thema von unbestreitbarer sicherheitspolitischer Relevanz – die Cybersicherheit des Bundes – und verknüpft es gezielt mit einem ihrer ideologischen Kernkritikpunkte: der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. In einer Zeit, in der die Bedrohungslage im digitalen Raum von der Bundesregierung selbst als „angespannt bis kritisch“ eingestuft wird und der Bundesrechnungshof wiederholt massive Defizite in der IT-Infrastruktur des Bundes anprangert, findet die Anfrage einen fruchtbaren Boden. Sie platziert sich in einem öffentlichen Diskurs, der von Sorgen um die staatliche Handlungsfähigkeit und die Sicherheit kritischer Infrastrukturen geprägt ist. Die AfD agiert hier als parlamentarischer Akteur, der eine legitime Kontrollfunktion wahrnimmt, diese jedoch strategisch nutzt, um das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und damit die gesamte Entwicklungspolitik als unsicheres und schlecht gemanagtes Politikfeld darzustellen. **KERNTHESEN DER ANFRAGE** **Problem: Konstruktion eines doppelten Staatsversagens** Die Anfrage konstruiert ein Narrativ des Versagens auf zwei Ebenen. Erstens wird das allgemeine, durch den Bundesrechnungshof belegte Versäumnis der Bundesregierung bei der Sicherung ihrer eigenen IT-Systeme ins Zentrum gerückt. Begriffe wie „eklatante Sicherheitslücken“ und „unzureichende Notstromversorgung“ etablieren ein Bild grundlegender Inkompetenz. Zweitens wird dieses Versagen auf das BMZ projiziert und dort zugespitzt: Ein Ministerium, das sensible Daten in Kooperation mit „Partnerländern im Globalen Süden“ mit vermeintlich „schwächerer Cyber-Resilienz“ austauscht, wird als besonders hohes Risiko dargestellt. Das Problem ist somit nicht nur die technische Schwäche, sondern deren verantwortungslose Ausweitung auf ein international vernetztes und als vulnerabel dargestelltes Politikfeld. **Verantwortung: Direkte Adressierung der Bundesregierung** Die Verantwortung für die beschriebenen Missstände wird eindeutig der amtierenden Bundesregierung zugeschrieben. Durch den Verweis auf Berichte über einen Stellenabbau im Bereich IT-Sicherheit wird der Regierung nicht nur Fahrlässigkeit, sondern aktives Handeln gegen die gebotene Sicherheitslogik unterstellt. Die Anfrage impliziert, dass die Regierung wider besseres Wissen – die Warnungen von BSI und Bundesrechnungshof liegen ja vor – die digitale Sicherheit des Staates und seiner internationalen Projekte gefährdet. Das BMZ wird zum Exempel für ein allgemeines Regierungsproblem. **Darstellung: Technokratische Seriosität als politisches Vehikel** Die AfD-Fraktion wählt eine betont sachliche und technokratische Darstellungsweise. Sie verzichtet auf offene Polemik und stützt ihre Argumentation auf eine hoch angesehene, unabhängige Institution – den Bundesrechnungshof. Der detaillierte Fragenkatalog mit 25 Fachfragen zu Rechenzentren, Sicherheitsüberprüfungen und Stellenplänen unterstreicht diesen Anspruch auf Seriosität und parlamentarische Gründlichkeit. Diese Inszenierung von Kompetenz dient dazu, die Anfrage aus der Ecke des reinen Populismus zu rücken und sie als legitimen Akt der parlamentarischen Kontrolle zu rahmen. Die technische Detailtiefe macht die Kritik für die Regierung schwer pauschal abweisbar. **Lösung: Implizite Forderung nach nationaler Prioritätensetzung** Obwohl keine expliziten Lösungen formuliert werden, schwingt die politische Kernaussage der AfD unüberhörbar mit: Die Bundesregierung sollte ihre Ressourcen auf nationale Kernaufgaben konzentrieren, anstatt sie in als riskant dargestellten internationalen Projekten zu binden. Die implizite Botschaft lautet: Bevor man Geld und Daten in den „Globalen Süden“ transferiert, sollte man die eigene digitale Souveränität sicherstellen. Die Anfrage bereitet damit argumentativ den Boden für Forderungen nach einer Kürzung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zugunsten nationaler Sicherheitsinvestitionen. **Strategie: Delegitimierung durch Nadelstiche** Die Anfrage ist ein strategischer Nadelstich, der mehrere Ziele verfolgt. Primär soll das BMZ und die deutsche Entwicklungspolitik delegitimiert werden, indem sie als Sicherheitsrisiko für den deutschen Steuerzahler dargestellt wird. Gleichzeitig profiliert sich die AfD als die einzige Fraktion, die scheinbar unpopuläre, aber notwendige Fragen zur staatlichen Kernkompetenz stellt. Angesprochen werden damit nicht nur die eigene Wählerbasis, die der Entwicklungshilfe traditionell kritisch gegenübersteht, sondern auch sicherheitsbewusste Bürgerinnen und Bürger der politischen Mitte. Das Timing, inmitten einer angespannten Sicherheitslage, maximiert die potentielle mediale und politische Wirkung. **EINORDNUNG** Die Kleine Anfrage der AfD ist ein Lehrstück darin, wie ein legitimes parlamentarisches Instrument für eine weitreichendere ideologische Agenda instrumentalisiert werden kann. Die sachliche Berechtigung der aufgeworfenen Kernprobleme ist unstrittig. Die vom Bundesrechnungshof dokumentierten Mängel in der IT-Sicherheit des Bundes sind real und stellen eine ernsthafte Gefahr dar. Die AfD greift hier also keinen fiktiven Missstand auf, sondern nutzt eine tatsächliche und anerkannte Schwachstelle der Regierung als Hebel. Die methodische Qualität der Fragen ist darauf ausgelegt, die Regierung in die Defensive zu drängen. Sie sind spezifisch genug, um präzise Antworten zu erfordern, deren Inhalt – egal ob positiv oder negativ – für die politische Kommunikation der AfD verwertbar sein wird. Entscheidend ist jedoch, welche Perspektiven gezielt ausgeblendet werden. Die Anfrage ignoriert vollständig den Zweck und den Mehrwert von Entwicklungszusammenarbeit im digitalen Zeitalter. Internationale Kooperation wird ausschließlich als Risikofaktor für Deutschland gerahmt, nicht aber als Chance, globale Standards für Cybersicherheit zu etablieren, digitale Teilhabe zu fördern oder gemeinsam gegen international agierende Cyberkriminelle vorzugehen. Die Partnerländer im Globalen Süden erscheinen als passive, schwache Objekte, die eine Gefahr darstellen, anstatt als souveräne Akteure, mit denen Deutschland gemeinsame Interessen verfolgt. Diese Verengung des Blicks ist ein zentrales Merkmal der nationalistischen Ideologie der AfD: Internationalismus wird per se als Bedrohung der nationalen Integrität und Sicherheit interpretiert. In ihrer demokratischen Wirkung ist die Anfrage daher ambivalent. Einerseits erfüllt sie die Kontrollfunktion der Opposition und zwingt die Regierung, sich zu einem wichtigen Thema öffentlich zu erklären und Rechenschaft abzulegen. Sie kann potenziell zu einer Verbesserung der Cybersicherheit im BMZ führen. Andererseits trägt sie zur Normalisierung einer politischen Haltung bei, die internationale Solidarität und Kooperation systematisch diskreditiert. Unter dem Deckmantel einer technischen Sicherheitsüberprüfung wird das Fundament eines ganzen Politikfeldes infrage gestellt. Für die gesellschaftliche Debatte bedeutet dies eine Verschiebung weg von der Frage, *wie* wir Entwicklungszusammenarbeit sicher und effektiv gestalten, hin zur Frage, *ob* wir sie uns angesichts der Risiken überhaupt „leisten“ sollten. Genau diese Verschiebung ist das strategische Ziel der Anfrage.