Nach Redaktionsschluss – Der Medienpodcast: Sommerinterviews in ARD und ZDF - Überholtes Theater oder journalistische Chance?
Eine Diskussion über die Zukunft politischer Sommerinterviews zwischen journalistischem Anspruch und dem Problem der AfD-Normalisierung.
Nach Redaktionsschluss – Der Medienpodcast
41 min read2333 min audioIn der Folge "Das ARD-Sommerinterview mit Alice Weidel zeigt: Schlagzeilen machen können sie. Aber sind die Gespräche auch noch zeitgemäß? Und muss man die AfD einladen?" diskutiert Sascha Wandhöfer mit Diana Zimmermann (Leiterin ZDF-Hauptstadtstudio) und Marlies Prinzing (Medienforscherin, Makromedia Köln) über die Zukunft politischer Sommerinterviews.
### Sommerinterviews hätten sich von Sommerloch-Formaten zu professionellen journalistischen Gesprächen entwickelt
Prinzing betont, frühere Interviews seien oft "Sommerloch-Interviews" gewesen, bei denen Politiker:innen wie Helmut Kohl am Wolfgangsee oder Helmut Schmidt am Bramsee in entspannter Atmosphäre befragt wurden. Heute gehe es dagegen "zur Sache", man verwende die verfügbare Zeit "wirklich dafür, zu bestimmten Themenbereichen in die Tiefe zu gehen". Zimmermann ergänzt, es gehe "um knallharte politische Themen" wie Gaza, Israel oder Klimaschutz.
### Das gestörte ARD-Interview mit Alice Weidel verdeutliche demokratische Herausforderungen
Das von Demonstrierenden lauthals gestörte Interview habe eine "neue Erfahrung" dargestellt, so Prinzing. Sie kritisiert: "Ich finde es kritisch, dass da jetzt wirklich letzten Endes jemand mundtot gemacht werden sollte. Das gehört für mich nicht zu einer demokratischen Debattenkultur." Zimmermann war "ziemlich geschockt" und sieht die Gefahr, dass "das Bedürfnis der Leute mitzusprechen, auch wenn andere live sind, gestiegen" sei.
### AfD-Interviews stellten Journalist:innen vor besondere Herausforderungen beim Faktencheck
Zimmermann beschreibt das Problem: "Bei manchen Gesprächspartnern ist es so, dass sie innerhalb eines Satzes gleich drei Unwahrheiten präsentieren." Man könne nicht "ständig korrigiert und ständig sagt, das stimmt aber nicht", ohne in ein "Streitgespräch" zu geraten. Prinzing ergänzt, Faktenchecks seien wichtig für Unentschlossene, aber "jene, die sowieso überzeugt sind von vergleichbaren Positionen" interessierten sich nicht für Richtigstellungen.
### Die Regel "alle Fraktionsvorsitzenden" führe zur Einladung der AfD trotz Kritik
Zimmermann verteidigt die Einladung Tino Chrupallas: "Die Regel für die Sommerinterviews lautet, alle Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Fraktionen." Jetzt "Regeln zu ändern, weil sie nun die AfD betreffen, ist natürlich auch nicht besonders demokratisch". Die AfD repräsentiere "inzwischen über 20 Prozent der Bevölkerung", die Öffentlich-Rechtlichen hätten "die Aufgabe, das auch zu zeigen".
### Podcast-Konkurrenz und jüngere Zielgruppen erfordern neue Strategien
Zimmermann sieht Handlungsbedarf: "Wir haben natürlich auch darüber nachgedacht, wie man die jungen Zuschauer an das Format binden kann." Überlegt werde, "Zuschauerfragen reinholen" oder "den Ertrag dieser Gespräche auf verschiedenen Plattformen besser verteilen". Prinzing sieht das Format als "solid", wenn es "entsprechend begleitet" werde.
## Einordnung
Die Diskussion offenbart eine bemerkenswerte Ambivalenz zwischen journalistischem Anspruch und strukturellen Zwängen. Während beide Expertinnen die Professionalisierung der Sommerinterviews betonen und deren Entwicklung von "Sommerloch-Formaten" zu seriösen politischen Gesprächen würdigen, zeigen sich fundamentale Herausforderungen im Umgang mit antidemokratischen Akteur:innen. Besonders problematisch ist die mechanische Anwendung der "Alle-Fraktionen-Regel" ohne Reflexion über deren demokratietheoretische Implikationen. Zimmermanns Argument, 20 Prozent der Bevölkerung müssten repräsentiert werden, übersieht die Unterscheidung zwischen demokratischer Repräsentation und der Normalisierung rechtsextremer Positionen durch etablierte Medienformate.
Die geschilderten Faktcheck-Probleme verdeutlichen ein strukturelles Dilemma: Während Falschinformationen in Echtzeit verbreitet werden, erfolgen Korrekturen zeitversetzt und erreichen kleinere Zielgruppen. Dies begünstigt systematisch jene politischen Akteur:innen, die bewusst mit Desinformation arbeiten. Die Diskussion um das gestörte Weidel-Interview zeigt zudem, wie schnell demokratische Meinungsäußerung als "undemokratisch" geframt wird, während die antidemokratischen Inhalte des Interviews selbst kaum thematisiert werden. Die fehlende kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle bei der Plattformierung rechtsextremer Positionen offenbart eine beunruhigende journalistische Selbstverständlichkeit im Umgang mit demokratiegefährdenden Akteur:innen.