Im FALTER Radio spricht Lale Ohlrogge mit der seit 30 Jahren für den FALTER schreibenden Kolumnistin Andrea Dusl über deren Buch "Die Wiener Seele in 100 Antworten". Dusl erklärt, dass "Wienerisch" keine feste Sprache, sondern eine Haltung sei: wer hierbleibe, werde zum Wiener, unabhängig von Herkunft. Sie zeigt, wie Redensarten wie „Mahlzeit“ als verdeckter Widerstandsgruß gegen NS-Parolen entstanden, warum „Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?“ eine Mischung aus Angst und Passiv-Aggression ist und wie neue Migranten-Wörter wie „Eder“ das Dialekt-Kontinuum erneuern. Die wichtigste Erkenntnis: Das Sterben des Dialekts sei ein Phantom; es sterde nur, was nicht mehr gebraucht wird, während junge Sprecher und Migranten das Wienerische weiterentwickeln. ### 1. Wienerisch ist Schicksal, nicht Geburtsort Dusl betont, dass man sich zum Wiener entwickle, wenn man bleibe: „Die ersten zehn Minuten verwienen dich für immer.“ Die Sprache sei ein Schutz gegen Diskriminierung und zugleich Identitätsangebot für Zugereiste. ### 2. Historische Fluchten in der Alltagssprache Der Begriff „Mahlzeit“ entstand ihrer Recherche zufolge in Behörden als neutrale Alternative zu „Heil Hitler“; „Entschuldigen Sie, steigen Sie aus?“ verberge hinter Höflichkeit die Angst, selbst nicht aussteigen zu dürfen. ### 3. Dialekt lebt von Migration Beispiele wie „Eder“ (von slawischem „hajde“) zeigen, dass gerade Migranten neue Ausdrücke einbringen; das „Migranten-Wienerisch“ halte den Dialekt am Leben. ### 4. Die Stadt als Schutzraum vor dem Rest Österreichs Dusl grenzt Wien bewusst vom „Provinz-Österreich“ ab: Die kaiserliche Vergangenheit habe eine weltoffene Metropole geschaffen, die heute als Gegenentwurf zum konservativen Umland gelte. ### 5. Kritik an Expats und Lautstärke Lautstarke Touristen und Expats würden die Wiener Kultur der leisen Straßenkommunikation stören; wer nur drei Jahre bleibe, beleidige die Stadt durch Oberflächlichkeit. ## Einordnung Die Sendung ist ein unterhaltsames, aber journalistisch anspruchsvolles Stadtporträt. Ohlrogge führt durchs Gespräch, stellt kritische Nachfragen und lässt Dusl ausführlich zitieren. Die Autorin liefert Fakten (Quellen, Historisches), bewertet aber auch subjektiv. Besonders auffällig: Die positive Wertung von Migration für den Dialekt und die klare Abgrenzung Wiens gegenüber ganz Österreich. Fehlende Gegenstimmen (z. B. Dialektforscher, Vertreter anderer Bundesländer) schmälern den Anspruch an Objektivität, passen aber zum Format eines persönlichen Stadtgesprächs. Rechte oder verschwörungstheoretische Inhalte sind nicht erkennbar; die NS-Zeit wird historisch korrekt als Ursprung von Alltagssprache behandelt.