Future Histories: S03E47 - Jason W. Moore on Socialism in the Web of Life
Scharfe Kapitalismuskritik und Visionen proletarischer Ökonomie – mit historischem Tiefgang und polarisierender Polemik.
Future Histories
92 min read6531 min audioJason W. Moore, Professor für Soziologie an der Binghamton University und Koordinator des World-Ecology-Research-Collective, spricht mit Jan Groos über die ideologische Gefahr des Begriffs „Natur“, die historische Rolle von Imperialismus und Geschlecht sowie über eine sozialistische Ökonomie, die „nicht-menschliche Arbeit“ (Böden, Wälder, Mikroben) in die Kalküle einbezieht. Moore wirft etablierten Ökosozialist:innen wie Andreas Malm und John Bellamy Foster vor, auf transhistorischen statt klassenspezifischen Arbeitsbegriffen zu basieren und damit die kapitalistische Dynamik zu verflachen. Für ein zukünftiges Sozialismus-Projekt fordert er ein „proletarische Wissenschaft“, die planetare Grenzen demokratisch und nicht elitär interpretiert, sowie eine Planung, die Kooperation mit statt Dominanz über die „Web of Life“ setzt. Die Episode enthält scharfe Polemiken gegen westliche Umwelt-NGOs („Rockström ist ein kompletter Scumbag“), gegen Klimakollaps-Rhetorik als Angstindustrie und gegen liberale Demokratien, die nie echte Demokratien gewesen seien. Moore sieht den Kapitalismus bereits durch Monopolisierung und geopolitische Verwerfungen als beendet an („Put a fork in it, capitalism is done“) und mahnt, revolutionäre Projekte müssten mit imperialer Gegenwehr rechnen – historisch wie gegenwärtig.
### Kapitalismus organisiert sich durch und in der „Web of Life“
Moore beschreibt den Kapitalismus nicht als äußere Macht gegen „die Natur“, sondern als spezifische Weise, Lebensprozesse zu organisieren: „Capitalism is a way of organizing nature“. Die Trennung Mensch/Natur sei eine bürgerliche Ideologie, die Kolonialismus und Geschlechterhierarchie mitbegründet habe. Zitat: „We forget this today because neoliberal ideology has destroyed our capacity to remember … nature with an uppercase N is the most dangerous concept in the ideological lexicon of capitalism.“
### Sozialistische Planung braucht eine „proletarische Wissenschaft“
Eine sozialistische Ökonomie müsse die Arbeit von Böden, Mikroben und Wäldern genauso in Rechnung stellen wie menschliche Arbeitszeit. Nur so lasse sich eine demokratische Planung jenseits kapitalistischer Quantifizierung („time is money“) aufbauen. Zitat: „We cannot have a meaningful socialist calculus that would facilitate democratic planning if it is alienated from webs of life.“
### Kapitalismus ist laut Moore bereits Geschichte
Monopolgrad und Allianz von Staat und Großkonzernen hätten die kompetitive Dynamik abgelöst; das System tendiere zum „techno-feudalism“. Die gegenwärtige Krise biete daher eine historische Offenung für postkapitalistische Alternativen. Zitat: „Put a fork in it, capitalism is done.“
### Klimakollaps-Diskurse dienen laut Moore der Angstindustrie
Begriffe wie „climate emergency“ oder „planetary boundaries“ würden von Eliten benutzt, um Öko-Austerität durchzusetzen und Aufstände im globalen Süden zu kontrollieren. Rockström & Co. seien „green washer“ für Großkonzerne und Militärs. Zitat: „Claims for climate emergency are absolutely bogus … they are looking for ways to contain the rise of the global South.“
### Imperialer Gegenangriff prägt jede sozialistische Transition
Jeder Versuch nationaler Selbstbestimmung werde mit Krieg, Sanktionen oder CIA-Coups konterkariert – von der russischen Revolution bis zur Nord-Stream-Sprenung. Sozialismus als Übergangsprojekt müsse sich daher auf „lange, gewaltsame Wege“ einstellen. Zitat: „The only group of people who knows that socialism works is the bourgeoisie – that’s why they invade, bomb and strangulate it.“
### Die Linke diskutiert zu abstrakt, ohne Machtfragen zu klären
Moore kritisiert Planungsdebatten, die an universitären Tischen stattfänden und die historische Erfahrung imperialer Unterdrückung ausblendeten. Ohne Machtübernahme und Verteidigung revolutionärer Projekte blieben sie „utopisch im marxistischen Sinne“. Zitat: „Most of these discussions are carried on at a very high level of abstraction … disconnected from history.“
## Einordnung
Die Sendung wirkt wie ein intellektuelles Feuerwerk: Moore liefert eine radikale, historisch argumentierte Kapitalismuskritik, die ökologische, feministische und anti-imperialistische Stränge verbindet. Dabei bedient er sich gezielt scharfer Polemik („Scumbag“, „put a fork in it“), was der Theorie eine erfrischende, aber auch polarisierende Note gibt. Die Gesprächsführung bleibt stets höflich und gibt Moore viel Raum – zu viel, wenn man detaillierte Faktenchecks oder konträre Stimmen erwartet. Kritiker:innen des Weltökonomie-Ansatzes kommen nicht zu Wort; wissenschaftliche Ungewissheiten (z. B. Nord-Stream-Täter, langfristige Klimaschäden) werden mit derselben Gewissheit vorgetragen wie historische Fakten. Das führt zu einer eindimensionalen Evidenz: Wer „Put a fork in it, capitalism is done“ hört, erhält keine Information darüber, wo die Theorie brüchig sein könnte. Positiv hervorzuheben ist, dass der Podcast komplexe marxistische Ökonomie in klares Deutsch übersetzt und Hörer:innen ermutigt, über Demokratie, Planung und Naturverhältnisse nachzudenken. Wer sich für Kapitalismuskritik, Weltökonomie oder sozialistische Ökologie interessiert, erhält eine unterhaltsame, aber einseitige Streitschrift – ideal, um eigene Positionen schärfen, nicht aber um sie auszubalancieren.