11KM: der tagesschau-Podcast: Tod von Oury Jalloh: Warum es nie einen Mordprozess gab (11KM Classic)
11KM rekonstruiert den rätselhaften Tod von Oury Jalloh und zeigt, wie Polizei, Justiz und Politik bis heute jede Aufklärung blockieren.
11KM: der tagesschau-Podcast
51 min read2566 min audioDer 11KM-Podcast rekonstruiert minutiös den Tod von Oury Jalloh, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Anna Herbst (WDR) legt dar, warum es nie einen Mordprozess gab: Polizist:innen hätten jahrelang Falschaussagen gemacht, Beweise seien verschwunden oder manipuliert worden ("das Feuerzeug wurde nachträglich platziert"), ein Video bricht nach vier Minuten ab, eine Zeugin wurde versetzt, nachdem sie ihren Chef belastete. Selbst der zuständige Staatsanwalt stellte später Mordermittlungen gegen namentlich bekannte Beamte, doch die Kolleg:innen in Halle lehnten ab – Anfangsverdacht fehle. Die Sendung zeigt, wie sehr der Rechtsstaat an seinen eigenen Ansprüchen scheiterte.
### 1. Die offizielle Version – Selbstanzündung – wackelt massiv
Die Polizei behauptete, Jalloh habe mit einem Feuerzeug eine feuerhemmende Matratze entzündet. Dabei sei ihm das Feuerzeug „aus der Brusttasche gefallen“. Weder bei der Durchsuchung noch auf dem bruchstückhaften Video taucht ein Feuerzeug auf; das später präsentierte Exemplar trägt keine Brandspuren aus der Zelle.
### 2. Beweise verschwinden oder werden nachträglich ergänzt
Die komplette Spurensicherung sollte stundenlang gefilmt werden; nur vier Minuten sind auffindbar. In diesen fehlt der entscheidende Moment, in dem ein verkohltes Feuerzeug unter der Leiche entdeckt wird. Ein Gutachten spricht von „wahrscheinlicher nachträglicher Manipulation“.
### 3. Die Mauer des Schweigens funktioniert bis heute
Alle leitenden Beschuldigten verweigern Interviews, dürfen laut Innenministerium nicht sprechen. Eine Zeugin, die ihren Vorgesetzten belastete, wurde gegen ihren Willen versetzt und widerrief später zentrale Angaben.
### 4. Gerichte erkennen Lügen – verhängen dennoch nur Geldstrafen
Im ersten Prozess spricht der Richter einen Polizisten frei, weil „die Beamten so offensichtlich gelogen“ hätten, dass ein Beweis nicht möglich sei. Im zweiten Verfahren wird der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu 10.800 € verurteilt – ein Mordprozess findet nie statt.
### 5. Die Staatsanwaltschaft Halle stoppt Mordermittlungen trotz Gegenwind
Selbst der zuständige Staatsanwalt in Dessau drängt 2012 auf ein Mordverfahren, doch die Kolleg:innen in Halle stellen 2017 alle Ermittlungen ein – Anfangsverdacht fehle, Motiv unklar. Klagen dagegen scheitern bis zum Bundesverfassungsgericht.
### 6. Neue Interviews lassen die Mauer nicht bröckeln
Erst 20 Jahre später gelingt es Anna Herbst, mit einem damaligen leitenden Kriminalbeamten (Hanno Schulz) vor der Kamera zu sprechen. Er hält an der Selbstanzündungs-These fest und nimmt seine Kolleg:innen in Schutz – ein Durchbruch bleibt aus.
## Einordnung
Die Sendung arbeitet nach höchsten journalistischen Standards: akribische Recherche, viele primäre Quellen, direkte Zitate aus Gerichtsprotokollen und ein exklusives Interview mit einem Polizisten, der zuvor nie öffentlich sprach. Die Machart ist investigativ, aber nicht sensationsgeil; die Moderation lässt Expert:innen und Betroffene gleichermaßen zu Wort kommen. Kritisch bleibt, dass die Polizei- und Justizseite sich weitgehend weigert, Stellung zu beziehen – ein strukturelles Problem, das der Podcast offenlegt, ohne daraus eine Verschwörung zu konstruieren. Die Folge zeigt, wie sehr der Rechtsstaat an seiner eigenen Bürokratie und an der Solidarität unter Beschuldigten scheitern kann. Wer aufklärende Qualitätsjournalismus mag, sollte unbedingt hören – und anschließend die sechsteilige ARD-Doku-Serie nachholen.