NEU DENKEN: Vermögen NEU DENKEN mit Katharina Pistor
Die Folge zeigt, warum Vermögen keine Naturkraft ist, sondern durch vier rechtliche Codes aktiv „gemacht“ wird – mit Folgen für Macht, Demokratie und Ungleichheit.
NEU DENKEN
26 min read4099 min audioKontext: Maja Göpel spricht mit der Rechtswissenschaftlerin Katharina Pistor über die Frage, warum Vermögensungleichheit die zentrale Machtschieflage moderner Gesellschaften ist. Die Sendung ist Teil der Podcast-Reihe „NEU DENKEN“, die sich lösungsorientiert mit ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationsfragen auseinandersetzt.
Hauptsprecher:innen: Maja Göpel (Politökonomin, Gastgeberin), Prof. Dr. Katharina Pistor (Rechtsprofessorin, Columbia Law School, Autorin von „The Code of Capital“)
Hauptthema: Die systematische Re-Produktion von Vermögensungleichheit durch rechtliche Codierungen – jenseits der klassischen Einkommensdebatte.
### 1) Vermögen werde aktiv „gemacht“ – nicht einfach „angehäuft“
Pistor betont, dass Vermögen erst durch staatlich garantierte Rechte entstehe: „Wir Menschen schaffen Vermögen […] mit Hilfe des Rechts.“ Ohne gesetzliche Schutzmechanismen – vom Fahrradschloss bis zum Derivat – gäbe es kein Kapital. Die Annahme, Reichtum entstehe durch „Wachstum“, verschleiere diese politische Konstruiertheit.
### 2) Die „vier Codes“ verleihen einigen Güern Super-Kraft
Priority, Durability, Convertibility und Universality ließen bestimmte Assets (Aktien, Immobilien, Patente) besonders leicht in Macht umschlagen. Je mehr Codes ein Gut trage, desto höher seine „Kapitalqualität“. Die selektive Ausstattung einzelner Güter mit diesen Eigenschaften treibe daher strukturelle Ungleichheit.
### 3) Seit den 1980er-Jahren dominierten Anwälte die Regelsetzung
Nach der Finanzmarktliberalisierung seien Großkanzleien in London und New York zu „Code-Schmieden“ geworden. Sie entwickelten neue Finanzinstrumente, die vier Codes kombinierten und Risiken sozialisierten, während Gewinne privat verblieben. Parlamente hätten wegen Komplexität und Wachstumseuphorie kaum interveniert.
### 4) Staaten sichern private Risiken ab – ohne viel Gegensteuerung
Bei Pleiten springen Steuerzahler ein (too-big-to-fail), während sich Superreiche in Niedrigsteuer-Länder absetzen. Pistor fordert eine „Informationslizenz“: Finanzprodukte dürften nur zugelassen werden, wenn alle Vertragsdokumente öffentlich einsehbar sind – vergleichbar mit Lebensmittel-Inhaltsangaben.
### 5) Vermögenssteuer und globale Steuerkoordination seien technisch lösbar
Die Bundesrepublik habe 1996 die Vermögensteuer aus rechtlichen (und politischen) Gründen ausgesetzt; die Ungleichheit sei danach stärker gewachsen. Internationale Kapitalmobilität erschwere nationale Alleingänge, mache aber internationale Mindeststeuersätze und Offshore-Transparenz nötig.
### 6) Die Codes müssten umgewidet, nicht abgeschafft werden
Eigentum brauche Vorrang, Beständigkeit und Konvertibilität – doch durch höhere Eigenkapitalquoten, Finanztransaktionssteuern und demokratische Kontrolle ließen sie sich „im Dienste der Gesellschaft“ nutzen. Der Schlüssel sei eine Re-Balance von privater Machen und öffentlicher Verantwortung.
## Einordnung
Der Podcast liefert eine klar strukturierte, akademisch fundierte Kritik an der bestehenden Kapitalmarktarchitektur. Göpel und Pistor verzichten auf Polemik, bemühen sich aber auch um journalistische Distanz zu den Interviewinhalten – sie stellen kaum kontroverse Gegenpositionen oder betroffene Akteure vor. Die Sendung bleibt damit in der Blase wirtschaftswissenschaftlich-ökologischer Transformationsforschung; weder Vertreter der Finanzindustrie noch kritische Finanzaktivist:innen kommen zu Wort. Inhaltlich überzeugt die Argumentation durch konsequente Konjunktiv-Formulierungen („es gäbe“) und historische Tiefe; stilistisch wirkt die Folge wie eine Vorlesung mit höflichem Applaus. Die mangelnde Perspektivenvielfalt limitiert die diskursive Spannung, erhöht aber die Zugänglichkeit für Einsteiger. Positiv: Fachliche Expertise wird jargonfrei vermittelt; kritisch: Reformvorschläge bleiben relativ abstrakt und entpolitisiert. Wer konkrete Lobby-Strukturen oder aktuelle Blockaden sucht, wird kaum schlauer. Dennoch bietet die Episode eine souveräne Einführung in rechtliche Ursachen von Vermögensungleichheit.
Hörempfehlung: Starke Analyse für alle, die verstehen wollen, warum Reichtum keine „Naturkraft“ ist – mit leichtem Reform-Echo statt Revolutions-Pänsel.